Geheimrede Chruschtschows am XX. Parteitag 1956

Über den Personenkult und seine Folgen

Chruschtschow am 20 Parteitag

Links zu Russland

Rede des Ersten Sekretärs des CK der KPSS, N. S. Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPSS [„Geheimrede“] und der Beschluss des Parteitages „Über den Personenkult und seine Folgen“, 25. Februar 1956

Genossen! Im Rechenschaftsbericht des CK der Partei an den XX. Parteitag, in einer Reihe von Ansprachen der Parteitagsdelegierten sowie zuvor auf Plenartagungen des Zentralkomitees ist nicht wenig über den Personenkult und seine schädlichen Folgen gesprochen worden.

Nach dem Tode Stalins begann das CK der Partei, exakt und konsequent eine Politik durchzuführen, die darin bestand nachzuweisen, dass es unzulässig und dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd ist, eine einzelne Person herauszuheben und sie in eine Art Übermensch mit übernatürlichen, gottähnlichen Eigenschaften zu verwandeln. Dieser Mensch weiss angeblich alles, sieht alles, denkt für alle, vermag alles zu tun, ist unfehlbar in seinem Handeln.

Eine solche Vorstellung über einen Menschen, konkret gesagt über Stalin, war bei uns viele Jahre lang verbreitet.

Die folgende Rede hat nicht eine allseitige Beurteilung des Lebens und der Tätigkeit Stalins zur Aufgabe. Über Stalins Verdienste wurde noch zu seinen Lebzeiten eine völlig ausreichende Anzahl von Büchern, Broschüren, Studien verfasst. Allgemein bekannt ist die Rolle Stalins bei der Vorbereitung und der Durchführung der sozialistischen Revolution, während des Bürgerkrieges sowie im Kampf um die Errichtung des Sozialismus in unserem Lande. Darüber wissen alle gut Bescheid. Zurzeit geht es uns um eine Frage, die für die Partei in Gegenwart und Zukunft gewaltige Bedeutung besitzt – darum, wie sich allmählich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer bestimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äusserst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde.

Angesichts dessen, dass sich noch nicht alle bewusst sind, wohin in der Praxis der Personenkult geführt hat, welchen gewaltigen Schaden die Verletzung des Prinzips der kollektiven Führung in der Partei und die Konzentration einer unermesslichen, unbeschränkten Macht in den Händen einer Person angerichtet hat, hält es das Zentralkomitee für erforderlich, dem XX. Parteitag der KPSS Materialien zur Kenntnis zu geben, die diese Frage betreffen.

Es sei mir erlaubt, Sie vor allem daran zu erinnern, wie streng die Klassiker des Marxismus-Leninismus jegliche Erscheinung von Personenkult verurteilten. In einem Brief an den deutschen politischen Funktionär Wilhelm Blos stellte Marx fest: „…im Widerwillen gegen allen Personenkultus, habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiedenen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, ausser hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, dass alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich. (Lassalle wirkte später grade in der entgegengesetzten Richtung.)“

Engels schrieb etwas später: „Sowohl Marx wie ich sind von jeher gegen alle öffentlichen Demonstrationen gewesen, die sich an einzelne Personen knüpfen, es sei denn, dass damit ein grosses Ziel verfolg wurde; und am allermeisten gegen solche Demonstrationen, die sich zu unseren Lebzeiten um unsre eigene Personen drehen würden.“

Bekannt ist die enorme Bescheidenheit des Genius der Revolution, Wladimir Iljitsch (Lenin) Lenin. Lenin unterstrich stets die Rolle des Volkes als des Schöpfers der Geschichte, die führende und organisierende Rolle der Partei als eines lebendigen und schöpferischen Organismus sowie die Rolle des Zentralkomitees.

Gleichzeitig prangerte er unbarmherzig jegliche Erscheinung von Personenkult an, führte er einen unerbittlichen Kampf gegen die dem Marxismus fremden Ansichten der Sozialrevolutionäre über „Helden“ und „Masse“, gegen Versuche der Gegenüberstellung von „Helden“ auf der einen und von Massen und Volk auf der anderen Seite.

Lenin lehrte, dass die Kraft der Partei auf dem unverbrüchlichen Bund mit den Massen beruht und darauf, dass das Volk – Arbeiter, Bauern, Intelligenzia – der Partei folgt. „Nur der wird siegen und die Macht behaupten“, sagte Lenin, „der an das Volk glaubt, der bis auf den Grund der lebendigen Schöpferkraft des Volkes tauchen wird.“

Lenin sprach mit Stolz von der bolschewistischen, kommunistischen Partei als einer Führerin und Lehrerin des Volkes, er rief dazu auf, alle entscheidenden Fragen zur Beurteilung den bewussten Arbeitern und ihrer Partei vorzulegen; er sagte: „der Partei glauben wir, in ihr sehen wir die Vernunft, die Ehre und das Gewissen unserer Epoche.“

Lenin trat entschieden gegen alle Versuche auf, die führende Rolle der Partei im System des Sowjetstaates zu vermindern oder zu schwächen. Er erarbeitete bolschewistische Prinzipien der Führung der Partei und der Normen des Parteilebens, wobei er unterstrich, dass das führende Prinzip der Führung der Partei ihre Kollektivität ist. Noch in den Jahren vor der Revolution bezeichnete Lenin das Zentralkomitee der Partei als ein Kollektiv von Führern, als einen Wächter und Interpreten der Parteiprinzipien. „Über die Prinzipien der Partei“, bemerkte Lenin, „wacht von Parteitag zu Parteitag das Zentralkomitee und interpretiert sie.“

Als er die Rolle des Zentralkomitees der Partei und seiner Autorität unterstrich, bemerkte Wladimir Iljitsch (Lenin): „Unser CK hat sich zu einer streng zentralisierten Gruppe herausgebildet, die hohe Autorität geniesst.“

Zu Lebzeiten Lenins war das Zentralkomitee ein echter Ausdruck der kollektiven Führung der Partei und des Landes. Als marxistisch-revolutionärer Kämpfer, der in prinzipiellen Fragen stets unbeugsam war, hat Lenin den Mitarbeitern niemals seine Ansichten gewaltsam aufgedrängt. Er überzeugte, geduldig erläuterte er anderen seine Meinung. Lenin wachte stets aufmerksam darüber, dass die Normen des Parteilebens verwirklicht, das Statut der Partei eingehalten, die Parteitage und die Plenartagungen des Zentralkomitees zum entsprechenden Termin einberufen wurden.

Neben allen grossen Taten, die W.I. Lenin für den Sieg der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft, für den Sieg unserer Partei und die Verwirklichung der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus vollbrachte, fand sein Scharfsinn auch einen Ausdruck darin, dass er rechtzeitig bei Stalin eben diese negativen Eigenschaften aufdeckte, die später zu schweren Folgen führten. In der Sorge um das weitere Schicksal der Partei und des Sowjetstaates gab W.I. Lenin eine vollkommen richtige Charakterisierung Stalins, wobei er darauf verwies, dass man die Frage der Ablösung Stalins von der Funktion des Generalsekretärs im Zusammenhang damit erwägen sollte, dass Stalin zu grob sei, nicht die richtige Aufmerksamkeit gegenüber seinen Genossen zeige, launisch sei und seine Macht missbrauche.

Im Dezember 1922 schrieb Wladimir Iljitsch (Lenin) in einem Brief an den Parteitag: „Gen. Stalin hat, nachdem er Generalsekretär geworden ist, eine unermessliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, dass er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen.“

Dieser Brief – ein politisches Dokument von erheblichem Gewicht, das in der Parteigeschichte als „Testament Lenins“ bekannt ist – wurde den Delegierten des XX. Parteitages ausgehändigt. Sie haben ihn gelesen und werden ihn gewiss noch wiederholt lesen. Überdenken Sie die einfachen Worte Lenins, in denen die Sorge W.I. Lenins um die Partei, um das Volk, den Staat und die weitere Richtung der Parteipolitik Ausdruck findet.

Wladimir Iljitsch (Lenin) sagte:

„Stalin ist zu grob, und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten durchaus erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von Gen. Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist.“

Dieses Leninistische Dokument wurde den Delegationen zum XIII. Parteitag zur Kenntnis gegeben, die die Frage der Ablösung Stalins vom Posten des Generalsekretärs besprachen. Die Delegationen sprachen sich für das Verbleiben Stalins auf diesem Posten aus, wobei sie erwarteten, dass er die kritischen Bemerkungen Wladimir Iljitsch (Lenin) s beherzigen würde und seine Fehler, die Lenins ernsthafte Bedenken hervorgerufen hatten, zu überwinden vermochte.

Genossen! Der Parteitag sollte sich mit zwei neuen Dokumenten vertraut machen, die die Einschätzung Stalins vervollständigen, die von Lenin in seinem „Testament“ vorgenommen wurde.

Diese Dokumente – das sind ein Brief von Nadeschda Konstantinovna Krupskaja an Kamenev, der damals Vorsitzender des Politbüros war, sowie ein persönlicher Brief Wladimir Iljitsch (Lenin) Lenins an Stalin.

Ich verlese diese Dokumente:

  1. Der Brief von N. K. Krupskaja:

„Lew Borissowitsch (Kamenew), wegen des kurzen Briefes, den mir Wladimir Iljitsch (Lenin) mit Erlaubnis der Ärzte diktiert hat, erlaubte sich Stalin mir gegenüber gestern einen groben Ausfall. Ich bin nicht erst seit gestern in der Partei. In all den dreissig Jahren habe ich von keinem Genossen ein einziges grobes Wort gehört. Die Interessen der Partei und Il’ičs sind mir nicht weniger teuer, als sie es Stalin sind. Ich brauche jetzt ein Maximum an Selbstbeherrschung. Worüber man mit Il’ič sprechen kann und worüber nicht, weiss ich besser als jeder Arzt, denn ich weiss, was ihn aufregt und was nicht, auf alle Fälle weiss ich das besser als Stalin. Ich wende mich an Sie und an Grigorij als Genossen, die V.I. näher als andere stehen, und bitte darum, mich vor grober Einmischung in mein Privatleben zu schützen, vor unwürdigen Beschimpfungen und Drohungen. An dem einstimmigen Beschluss der Kontrollkommission, mit der Stalin zu drohen sich erlaubte, zweifle ich nicht. Ich habe aber weder Kraft noch Zeit, mich mit diesen dummen Intrigen zu beschäftigen. Auch ich bin ein lebendiger Mensch, und meine Nerven sind zum Zerreissen gespannt.

  1. Krupskaja.“

Diesen Brief schrieb Nadeschda Konstantinovna am 23. Dezember 1922. Nach Ablauf von zweieinhalb Monaten, im März 1923, schickte Lenin an Stalin folgenden Brief:

  1. Brief W. I. Lenins:

„An Genosse Stalin.

Streng vertraulich.

Persönlich

Kopie an die Genossen Kamenev und (Grigori Jewsejewitsch) Sinowjew

Werter Gen. Stalin!

Sie besassen die Grobheit, meine Frau ans Telefon zu rufen und sie zu beschimpfen. Obwohl sie sich Ihnen gegenüber bereit erklärt hat, das Gesagte zu vergessen, haben (Grigori Jewsejewitsch) Sinowjew und Kamenev diese Tatsache durch sie selbst erfahren. Ich habe nicht die Absicht, so leicht zu vergessen, was man mir angetan hat, und selbstverständlich betrachte ich das, was man meiner Frau angetan hat, als etwas, das auch mir angetan wurde. Deshalb bitte ich Sie zu erwägen, ob Sie bereit sind, das Gesagte zurückzunehmen und sich zu entschuldigen, oder ob Sie es vorziehen, die Beziehungen zwischen uns abzubrechen.

Hochachtungsvoll Lenin

  1. März 1923.“

Genossen! Ich werde diese Dokumente nicht kommentieren. Sie sprechen für sich selbst. Wenn Stalin sich zu Lebzeiten Lenins auf diese Art verhalten konnte, sich gegenüber Nadeshda Konstantinowna Krupskaja so benehmen konnte, die in der Partei bekannt ist und als treue Gefährtin Lenins und aktive Kämpferin um die Sache unserer Partei von Anfang an hochgeschätzt wird, so kann man sich vorstellen, wie Stalin andere Mitarbeiter behandelte. Diese seine negativen Eigenschaften entwickelten sich immer mehr und nahmen in den letzten Jahren einen absolut unerträglichen Charakter an.

Wie spätere Vorkommnisse bewiesen, war Lenins Besorgnis begründet: In der ersten Zeit nach Lenins Tod hielt sich Stalin noch an seine Weisungen, jedoch später begann er, die ernsten Warnungen von Wladimir Iljitsch (Lenin) auf die leichte Schulter zu nehmen.

Wenn wir die von Stalin bei der Führung von Partei und Staat angewandte Praxis analysieren, wenn wir über alles nachdenken, was Stalin zugelassen hat, dann überzeugen wir uns davon, dass Lenins Befürchtungen berechtigt waren. Stalins negative Eigenschaften, die zu den Zeiten Lenins erst im Keim vorhanden waren, entwickelten sich während der letzten Jahre zu einem schweren Missbrauch der Macht, was unserer Partei unermesslichen Schaden zufügte.

Wir müssen diese Frage ernsthaft durchdenken und richtig analysieren, um jede Möglichkeit einer Wiederholung, in welcher Form auch immer, dessen auszuschliessen, was zu Lebzeiten Stalins geschah, der Kollektivität in der Führung und in der Arbeit absolut nicht ertrug, der sich brutale Gewalt gegenüber allem erlaubte, was sich nicht nur gegen ihn richtete, sondern was ihm, bei seiner launenhaften und despotischen Neigung, seinen Konzeptionen zu widersprechen schien. Stalin handelte nicht mit dem Mittel der Überzeugung, der Erklärung, der geduldigen Arbeit mit den Menschen, sondern durch das Aufzwingen seiner Konzeptionen, indem er die absolute Unterordnung unter seine Meinung forderte. Wer sich dem entgegenstellte oder versuchte; seinen eigenen Gesichtspunkt und die Richtigkeit seines Standpunktes zu begründen, war zum Ausschluss aus dem Leitungskollektiv und in der Folge zur moralischen und physischen Vernichtung verurteilt. So war es insbesondere im Zeitraum nach dem XVII. Parteitag, als dem Despotismus Stalins viele ehrliche, der Sache des Kommunismus ergebene, hervorragende Parteifunktionäre und einfache Parteiarbeiter zum Opfer fielen.

Es gilt festzustellen, dass die Partei einen ernsthaften Kampf gegen die Trotzkisten, die Rechtsabweichler, die bürgerlichen Nationalisten führte, dass sie alle Feinde des Leninismus ideologisch zerschlug. Dieser ideologische Kampf wurde erfolgreich geführt, in seinem Verlauf kräftigte und stählte sich die Partei noch mehr. Hier spielte Stalin eine positive Rolle.

Die Partei führte einen grossen ideologisch-politischen Kampf gegen diejenigen in ihren Reihen, die antileninistische Thesen aufstellten, die eine der Partei und der Sache des Sozialismus fremde politische Linie repräsentierten. Das war ein hartnäckiger und schwerer, aber notwendiger Kampf, da die politische Linie sowohl des trotzkistisch-sinowjewschen Blocks als auch der Bucharinleute im Grunde genommen zur Wiedererrichtung des Kapitalismus, zur Kapitulation vor der Weltbourgeoisie geführt hätte. Stellen wir uns vor, was geschehen wäre, wenn in den Jahren 1928/1929 bei uns in der Partei die Linie der politischen Rechtsabweichung gesiegt hätte, die Orientierung auf die „Kattun-Industrialisierung“, auf die Kulaken u. ä. Wir hätten keine mächtige Schwerindustrie, keine Kolchosen, wir wären der kapitalistischen Einkreisung gegenüber ohne Verteidigung und machtlos gewesen.

Dies ist der Grund dafür, dass die Partei einen unbarmherzigen ideologischen Kampf geführt hat, allen Parteimitgliedern und den parteilosen Massen erklärte, worin die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der antileninistischen Auftritte der trotzkistischen Opposition und der Rechtsopportunisten bestanden. Und diese gewaltige Arbeit zur Erläuterung der Parteilinie ist erfolgreich gewesen: Sowohl die Trotzkisten als auch die Rechtsopportunisten wurden politisch isoliert, die überwältigende Mehrheit der Partei unterstützte die Leninistische Linie, und der Partei gelang es, die arbeitenden Massen zur Verwirklichung der Leninistischen Parteilinie, für den Aufbau des Sozialismus zu mobilisieren und zu organisieren.

Beachtung verlangt der Umstand, dass sogar im Verlauf des erbitterten ideologischen Kampfes gegen die Trotzkisten, Sinowjewleute, Bucharinleute und andere keine extrem repressiven Mittel angewandt wurden. Der Kampf vollzog sich auf ideologischem Boden. Doch nach Ablauf einiger Jahre, als der Sozialismus in unserem Lande eigentlich schon errichtet war, als die Ausbeuterklassen im Prinzip liquidiert waren, als sich die soziale Struktur der sowjetischen Gesellschaft in radikaler Art verändert hatte, als sich die gesellschaftliche Basis für feindliche Parteien, politische Richtungen und Gruppierungen gewaltig verengt hatte, als die ideologischen Gegner der Partei schon seit langem politisch zerschlagen waren, da begannen gegen sie die Repressionen.

Und gerade in dieser Periode (der Jahre 1935 bis 1937) kam es zur Praxis der massenweisen Repressalien von Staats wegen, zuerst gegenüber den Gegnern des Leninismus: gegenüber den Trotzkisten, Sinowjewleuten und Bucharinleuten, die schon seit langem politisch von der Partei zerschlagen waren, später auch gegenüber vielen ehrlichen Kommunisten, gegenüber denjenigen Parteikadern, die die schwere Last des Bürgerkrieges sowie der ersten und schwierigsten Jahre der Industrialisierung und Kollektivierung auf ihren Schultern getragen hatten, die aktiv gegen die Trotzkisten und Rechtsabweichler um eine leninistische Parteilinie gekämpft hatten.

Stalin führte den Begriff „Volksfeind“ ein. Dieser Terminus befreite umgehend von der Notwendigkeit, die ideologischen Fehler eines oder mehrerer Menschen, gegen die man polemisiert hatte, nachzuweisen; er erlaubte die Anwendung schrecklichster Repressionen, wider alle Normen der revolutionären Gesetzlichkeit, gegen jeden, der in irgendetwas mit Stalin nicht übereinstimmte, der nur gegnerischer Absichten verdächtigt, der einfach verleumdet wurde. Dieser Begriff „Volksfeind“ schloss im Grunde genommen schon von sich aus, die Möglichkeit irgendeines ideologischen Kampfes oder der Darlegung der eigenen Ansichten zu dieser oder jener Frage auch praktischen Inhalts aus. Als hauptsächlicher und im Grunde genommen einziger Schuldbeweis wurde entgegen allen Normen der heutigen Rechtslehre das „Geständnis“ der Verurteilten betrachtet.

Das führte zu einer krassen Vergewaltigung der revolutionären Gesetzlichkeit, dazu, dass viele total Unschuldige, die in der Vergangenheit die Parteilinie verteidigt hatten, zu Opfern wurden.

Man muss feststellen, dass es gegenüber denjenigen, die seinerzeit gegen die Parteilinie auftraten, oft keine ausreichend ernsthaften Grundlagen gab, um sie physisch zu vernichten. Um die physische Vernichtung solcher Personen zu begründen, wurde eben die Formel vom „Volksfeind“ eingeführt.

Schliesslich hatten viele Menschen, die später vernichtet wurden, weil sie als Feinde der Partei und des Volkes betrachtet wurden, zu Lebzeiten W.I. Lenins mit diesem zusammengearbeitet. Einige dieser Personen hatten auch zu Lenins Zeiten Fehler begangen, doch ungeachtet dessen zog Lenin aus ihrer Arbeit Nutzen, korrigierte sie, strebte danach, dass sie im Rahmen der Partei verblieben, weiter mit ihm zusammengingen.

Im Zusammenhang damit sollen die Parteitagsdelegierten mit einer bisher unveröffentlichten Bemerkung W.I. Lenins vertraut gemacht werden, die er im Oktober 1920 an das Politbüro des CK richtete. Bei der Präzisierung der Aufgaben der Kontrollkommission schrieb Lenin, dass man diese Kommission „zu einem echten Organ des Gewissens von Partei und Proletariat“ machen sollte.

„Als besondere Aufgabe wird der Kontrollkommission empfohlen“, heisst es in dieser Notiz, „die Vertreter der so genannten Opposition, die in Zusammenhang mit den Misserfolgen in ihrer Partei- oder Staatskarriere eine seelische Krise durchmachen, aufmerksam und individualisierend, bisweilen sogar direkt wie Kranke zu behandeln. Man muss sich bemühen, sie zu beruhigen, ihnen die Sache kameradschaftlich erklären, ihnen (nicht auf dem Wege von Anordnungen) eine Arbeit beschaffen, die ihren psychologischen Besonderheiten entspricht; dem Orgbüro des CK sind zu diesem Punkt Ratschläge und Hinweise zu geben, usw.“

Alle wissen gut, wie unversöhnlich Lenin gegenüber den ideologischen Gegnern des Marxismus war, gegenüber denen, die von der richtigen Parteilinie abwichen. Zugleich jedoch forderte Lenin, wie man aus dem verlesenen Dokument und aus der gesamten Praxis seiner Führung der Partei ersehen kann, ein äusserst einfühlsames, parteiliches Verhältnis zu den Menschen, die Schwankungen an den Tag legten oder von der Parteilinie abwichen, die man aber auf den parteilichen Weg zurückführen konnte. Lenin gab den Rat, solche Menschen geduldig zu erziehen, ohne extreme Mittel anzuwenden.

Darin äusserte sich die Klugheit Lenins beim Herangehen an die Menschen, bei der Arbeit mit den Kadern.

Ein vollkommen anderes Verhältnis zu den Menschen war für Stalin charakteristisch. Stalin waren die Leninistischen Eigenschaften völlig fremd; die geduldige Arbeit mit den Menschen, ihre beharrliche und mühselige Erziehung, die Fähigkeit, Menschen zu gewinnen nicht auf dem Wege des Zwangs, sondern auf dem Wege ihrer ideologischen Beeinflussung durch das gesamte Kollektiv. Er wies die Leninistische Methode der Überzeugung und Erziehung zurück, ging von der Position des ideologischen Kampfes über den Weg administrativer Gewalt auf den Weg massenhafter Repressalien, den Weg des Terrors. Er machte in zunehmendem Masse und immer hartnäckiger die Straforgane zu seinem Werkzeug, wobei er oft alle bestehenden Normen der Moral und die sowjetischen Gesetze mit Füssen trat.

Die Willkür einer einzelnen Person regte auch andere zur Willkür an und ermöglichte sie. Massenverhaftungen und Deportationen vieler tausend Menschen, Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil und ohne normale Untersuchung riefen einen Zustand der Unsicherheit und der Furcht, sogar der Verzweiflung hervor.

Das diente natürlich nicht dem Zusammenschluss der Reihen der Partei und aller Schichten des werktätigen Volkes, sondern zog im Gegenteil die Liquidierung, den Parteiausschluss ehrlicher Mitarbeiter, die aber Stalin unbequem waren, nach sich.

Unsere Partei kämpfte um die Verwirklichung der Leninistischen Pläne zur Errichtung des Sozialismus. Das war ein ideologischer Kampf. Wenn im Verlauf dieses Kampfes die Leninistischen Grundsätze eingehalten, wenn parteiliche Prinzipienfestigkeit geschickt mit einem einfühlsamen und sorgsamen Verhältnis zu den Menschen verbunden worden wäre, wenn versucht worden wäre, sie auf unsere Seite zu ziehen, anstatt sie zu verstossen und zu verlieren – dann wäre es gewiss bei uns nicht zu einer so brutalen Verletzung der revolutionären Gesetzlichkeit, zur Anwendung von Terrormethoden gegenüber vielen Tausenden Menschen gekommen. Ausserordentliche Mittel wären dann nur gegenüber denjenigen angewandt worden, die tatsächlich Verbrechen gegen die Sowjetordnung begangen hätten.

Erinnern wir uns an einige historische Tatsachen.

In den Tagen vor der Oktoberrevolution traten zwei Mitglieder des CK der bolschewistischen Partei – Kamenev und Sinowjew – gegen den Leninistischen Plan des bewaffneten Aufstands auf. Mehr noch, am 18. Oktober veröffentlichten sie in der menschewistischen Zeitung „Novaja žizn'“ eine Erklärung über die Vorbereitung des Aufstands durch die Bolschewiki sowie darüber, dass sie den Aufstand als abenteuerlich ansahen. Damit enthüllten Kamenev und Sinowjew den Feinden den Beschluss des CK zur Frage des Aufstands, seiner Organisierung in allernächster Zeit.

Das war Verrat an der Sache der Partei, an der Sache der Revolution. W.I. Lenin schrieb im Zusammenhang damit: „Kamenev und Sinowjew haben an Rodzjanko und Kerenskij den Beschluss des CK ihrer Partei über den bewaffneten Aufstand verraten.“ Er unterbreitete dem CK die Frage des Ausschlusses von Sinowjew und Kamenev aus der Partei.

Bekanntlich wurden jedoch Sinowjew und Kamenev nach der Grossen Sozialistischen Oktoberrevolution in führenden Positionen eingesetzt. Lenin bezog sie in die Ausführung der verantwortungsvollsten Aufträge der Partei ein, in die aktive Arbeit der Führungsorgane von Partei und Sowjetstaat. Es ist bekannt, dass Sinowjew und Kamenev zu Lebzeiten Lenins nicht wenig andere ernste Fehler begingen. In seinem „Testament“ warnte Lenin, „dass die Episode mit Sinowjew und Kamenev im Oktober natürlich kein Zufall war“. Doch Lenin stellte weder die Frage ihrer Verhaftung noch gar die ihrer Erschiessung.

Oder nehmen wir das Beispiel der Trotzkisten. Gegenwärtig, da ein ausreichend langer historischer Abschnitt verstrichen ist, können wir über den Kampf gegen die Trotzkisten vollkommen ruhig sprechen und diese Angelegenheit mit ausreichender Objektivität analysieren. Schliesslich befanden sich in Trockijs Umgebung Menschen, die keineswegs aus einem bürgerlichen Milieu stammten. Ein Teil von ihnen gehörte zur Parteiintelligenz, und ein gewisser Teil rekrutierte sich aus der Arbeiterschaft. Man könnte viele anführen, die sich seinerzeit den Trotzkisten angeschlossen hatten, doch dieselben Menschen hatten vor der Revolution aktiv an der Arbeiterbewegung teilgenommen und sich an der Revolution selbst beteiligt wie gleichfalls an der Festigung der Errungenschaften dieser grössten Revolution. Viele von ihnen brachen mit dem Trotzkismus und gingen auf leninistische Positionen über. Bestand denn die Notwendigkeit der physischen Vernichtung dieser Menschen? Wir sind zutiefst überzeugt, hätte Lenin gelebt, wäre ein so extremes Mittel gegenüber vielen von ihnen nicht angewandt worden.

So sehen nur einige historische Fakten aus. Und kann man sagen, dass Lenin sich nicht entschieden hätte, gegenüber Feinden der Revolution die strengsten Schritte zu unternehmen, wenn es tatsächlich erforderlich war? Nein, das kann niemand behaupten. Wladimir Iljitsch (Lenin) verlangte die rücksichtslose Abrechnung mit Feinden der Revolution und der Arbeiterklasse, und wenn es erforderlich war, wandte er solche Mittel auch schonungslos an. Erinnern Sie sich beispielsweise an den Kampf W.I. Lenins gegen die sozialrevolutionären Organisatoren der antisowjetischen Erhebungen, gegen das konterrevolutionäre Kulakentum im Jahre 1918 und anderes, als Lenin ohne Schwankungen die entschiedendsten Mittel gegenüber den Feinden anwandte. Doch Lenin griff zu solchen Mitteln gegenüber wirklichen Klassenfeinden, nicht aber jenen gegenüber, die sich irren, fehlgehen, die man durch ideologische Beeinflussung wieder in die Partei einreihen und sogar in der Führung behalten kann.

Lenin benutzte scharfe Mittel in den allernotwendigsten Fällen, als Ausbeuterklassen existierten, die einen wütenden Widerstand gegen die Revolution leisteten, als der Kampf „Wer – wen?“ unvermeidlich die schärfsten Formen, einschliesslich des Bürgerkrieges, annahm. Stalin allerdings wandte extremste Mittel, Massenrepressalien noch dann an, als die Revolution gesiegt, der Sowjetstaat sich gefestigt hatte, als die Ausbeuterklassen bereits liquidiert worden waren und sozialistische Verhältnisse sich in allen Bereichen der Volkswirtschaft vertieft hatten, als unsere Partei politisch an Stärke gewonnen und sich sowohl quantitativ als auch ideologisch gestählt hatte. Es ist klar, dass Stalin hier in einer ganzen Reihe von Fällen Intoleranz, Brutalität, Machtmissbrauch an den Tag legte. Anstatt zu beweisen, dass er politisch recht hatte und die Massen zu mobilisieren, beschritt er oft den Weg der Repression und der physischen Vernichtung nicht nur gegenüber tatsächlichen Feinden, sondern auch gegenüber Menschen, die keine Verbrechen gegen die Partei und die Sowjetmacht begangen hatten. Das war kein Zeichen von Klugheit, sondern nur die Demonstration brutaler Stärke, was gerade W.I. Lenin so beunruhigte.

Das Zentralkomitee der Partei hat kürzlich, nach der Entlarvung der Berija-Bande, eine Reihe von Fällen erörtert, die diese Bande fabriziert hat. Enthüllt wurde dabei ein sehr schmutziges Bild brutaler Willkür, das mit dem ungerechtfertigten Vorgehen Stalins verbunden war. Wie die Tatsachen belegen, erlaubte sich Stalin – unter Ausnutzung seiner unbeschränkten Macht – viele Missbräuche, wobei er im Namen des CK agierte und die Mitglieder des CK wie sogar auch die Mitglieder des Politbüros nicht um ihre Meinung fragte, häufig sie nicht einmal über seine individuell getroffenen Beschlüsse in äusserst wichtigen Partei- und Staatsangelegenheiten informierte.

Bei der Erörterung der Frage des Personenkults müssen wir vor allem klären, welchen Schaden er den Interessen unserer Partei zugefügt hat.

Lenin unterstrich stets die Rolle und Bedeutung der Partei bei der Leitung des sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern, wobei er darin die Hauptbedingung für die erfolgreiche Errichtung des Sozialismus in unserem Land erblickte. Unter Hinweis auf die gewaltige Verantwortung der bolschewistischen Partei als der Regierungspartei des sowjetischen Staates appellierte Lenin, die Normen des Parteilebens auf das genaueste einzuhalten, die Prinzipien der Kollektivität bei der Führung der Partei und des Landes zu verwirklichen. Die Kollektivität der Führung entspringt aus der Natur unserer Partei selbst, die auf den Grundsätzen des demokratischen Zentralismus basiert.

„Das bedeutet“, sagte Lenin, „dass alle Parteiangelegenheiten – unmittelbar oder durch Vertreter – von allen Parteimitgliedern gleichberechtigt und ohne Ausnahme wahrgenommen werden, wobei alle leitenden Funktionäre, alle führenden Kollegien, alle Parteiinstanzen wählbar, rechenschaftspflichtig und absetzbar sind.“

Bekanntlich hat Lenin selbst ein Beispiel für die genaueste Einhaltung dieser Prinzipien gegeben. Es gab keine noch so wichtige Frage, in der Lenin die Entscheidung selbst getroffen hätte, ohne den Rat und die Billigung der Mehrheit der CK-Mitglieder oder der Mitglieder des Politbüros des CK einzuholen.

In der für unsere Partei und das Land sehr schwierigen Zeit hielt es Lenin für erforderlich, regulär die Parteitage, Parteikonferenzen und Plenums des Zentralkomitees einzuberufen, auf denen die wichtigsten Fragen besprochen und Beschlüsse gefasst wurden, die allseitig von den Führungskollektiven ausgearbeitet worden waren.

Erinnern wir uns zum Beispiel des Jahres 1918, als über dem Land die Gefahr des Überfalls der imperialistischen Interventen hing. Unter diesen Bedingungen wurde der VII. Parteitag mit dem Ziel einberufen, die lebenswichtige und keinen Aufschub duldende Frage des Friedens zu erörtern. Im Jahre 1919, auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges, wurde der VIII. Parteitag einberufen, auf dem ein neues Parteiprogramm beschlossen und so wichtige Angelegenheiten erörtert wurden wie die Haltung gegenüber den Massen der Bauernschaft, die Organisation der Roten Armee, die Frage der führenden Rolle der Partei in der Arbeit der Sowjets, die Verbesserung der sozialen Zusammensetzung der Partei und andere Fragen. 1920 wurde der IX. Parteitag einberufen, der die Aufgaben der Partei und des Landes im Bereich des ökonomischen Aufbaus festlegte. Im Jahre 1921, auf dem X. Parteitag, wurde die von Lenin ausgearbeitete Neue Ökonomische Politik beschlossen und die historische Entschliessung „Über die Einheit der Partei“ angenommen.

Zu Lebzeiten Lenins fanden die Parteitage regulär statt; immer, wenn eine radikale Wende in der Entwicklung von Partei und Land eintrat, betrachtete es Lenin als unerlässlich, durch die Partei die grundlegenden Fragen der Innen- und Aussenpolitik, die Fragen des Partei- und Staatsaufbaus zu erörtern.

Es ist besonders charakteristisch, dass Lenin seine letzten Artikel, Briefe und Bemerkungen gerade an den Parteitag als höchstes Parteiorgan richtete. In der Periode zwischen den Parteitagen trat das Zentralkomitee als das mit der höchsten Autorität ausgestattete Führungskollektiv auf, das die Prinzipien der Partei genau einhielt und ihre Politik realisierte.

So war es zu Lenins Lebzeiten.

Wurden die für unsere Partei heiligen Leninistischen Prinzipien nach dem Tode von Wladimir Iljitsch (Lenin) eingehalten?

Während in den ersten Jahren nach dem Tode Lenins Parteitage und Plenarsitzungen des CK mehr oder weniger regelmässig stattfanden, wurde später, als Stalin die Macht immer mehr missbrauchte, begonnen, diese Prinzipien gröblich zu verletzen. Dies wurde vor allem in den letzten 15 Jahren seines Lebens deutlich. Kann man den Fakt als normal ansehen, dass zwischen dem XVIII. und XIX. Parteitag mehr als 13 Jahre vergingen, in denen unsere Partei und das Land so viele Ereignisse erlebten? Diese Ereignisse verlangten nachdrücklich von der Partei, Beschlüsse zur Verteidigung des Landes unter den Bedingungen des Vaterländischen Krieges und zum friedlichen Aufbau in den Nachkriegsjahren zu fassen. Sogar nach Ende des Krieges trat länger als sieben Jahre kein Parteitag zusammen.

Es wurden fast keine Plenartagungen des Zentralkomitees einberufen. Es spricht für sich, dass während all der Jahre des Grossen Vaterländischen Krieges praktisch kein einziges Plenum des CK stattfand. Es gab zwar einen Versuch zur Einberufung eines CK-Plenums im Oktober 1941, als aus dem ganzen Lande die Mitglieder des CK nach Moskau beordert wurden. Zwei Tage warteten sie auf die Eröffnung des Plenums, doch ihr Warten war vergeblich. Stalin wollte sich nicht einmal mit den Mitgliedern des CK treffen und unterhalten. Diese Tatsache zeugt davon, wie demoralisiert Stalin in den ersten Monaten des Krieges war und wie überheblich und geringschätzig er die Mitglieder des CK behandelte.

In dieser Praxis spiegelte sich das Ignorieren der Normen des Parteilebens, die Verletzung des Leninistischen Prinzips der kollektiven Führung der Partei durch Stalin wider.

Die Selbstherrlichkeit Stalins gegenüber der Partei und ihrem Zentralkomitee kam besonders nach dem XVII. Parteitag zum Vorschein, der 1934 stattfand.

Das Zentralkomitee, das über zahlreiche Fakten verfügt, die von der brutalen Willkür gegenüber den Kadern der Partei zeugen, hat eine Parteikommission aus Genossen Pospelov, Aristov, Švernik und Komarov bestellt und beauftragt, genau zu untersuchen, auf welche Weise die Massenrepressalien gegen die Mehrheit der Mitglieder und Kandidaten des CK der Partei, das vom XVII. Parteitag der VKP(b) gewählt wurde, möglich wurden.

Die Kommission machte sich mit einer grossen Anzahl von Materialien aus den Archiven des NKVD und mit anderen Dokumenten vertraut, und sie stellte zahlreiche Fakten fest über fabrizierte Anklagen gegen Kommunisten, falsche Beschuldigungen, schreiende Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit, als deren Folge unschuldige Menschen umkamen. Aufgedeckt wurde, dass viele Parteiarbeiter, Sowjet- und Wirtschaftsfunktionäre, die in den Jahren 1937/1938 als „Feinde“ angesehen wurden, in Wirklichkeit niemals Feinde, Spione, Schädlinge u. ä. gewesen sind, dass sie tatsächlich immer ehrliche Kommunisten waren. Aber man hat sie angeschwärzt, und manchmal hielten sie die barbarischen Foltern nicht aus und beschuldigten sich selbst (unter dem Diktat der mit Fälschungen arbeitenden Untersuchungsrichter) sämtlicher schwerer und unwahrscheinlicher Verbrechen. Die Kommission hat dem Präsidium des CK ein umfassend dokumentiertes Material über die Massenrepressalien gegen die Delegierten des XVII. Parteitags und die Mitglieder des von diesem Parteitag gewählten Zentralkomitees vorgelegt. Diese Materialien wurden vom Präsidium des Zentralkomitees begutachtet. Das Zentralkomitee hält es für notwendig, dem XX. Parteitag grundlegende Fakten zu dieser Frage darzulegen.

Festgestellt wurde, dass von den 139 Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees, die auf dem XVII. Parteitag gewählt worden waren, 98 Personen, d. h. 70 Prozent, (hauptsächlich in den Jahren 1937/1938) verhaftet und erschossen wurden.

Wie war die Zusammensetzung der Delegierten zum XVII. Parteitag? Es ist bekannt, dass 80 Prozent der Teilnehmer des Parteitages mit beschliessender Stimme in den Jahren der revolutionären Untergrundsarbeit und des Bürgerkrieges, also einschliesslich bis zum Jahre 1920, in die Partei eingetreten waren. Was die soziale Zusammensetzung angeht, so stellten Arbeiter (60 Prozent der Delegierten mit beschliessender Stimme) die Hauptmasse der Parteitagsdelegierten.

Deshalb war es absolut undenkbar, dass der Parteitag mit derartiger Zusammensetzung ein Zentralkomitee gewählt hätte, dessen Mehrheit sich als Parteifeinde herausstellt. Nur im Ergebnis dessen, dass ehrliche Kommunisten angeschwärzt und zu Unrecht beschuldigt wurden, dass ungeheuerliche Verletzungen der revolutionären Gesetzlichkeit zugelassen worden sind, wurden 70 Prozent der Mitglieder und Kandidaten des vom XVII. Parteitag gewählten Zentralkomitees zu Feinden der Partei und des Volkes erklärt.

Dasselbe Geschick traf nicht nur die Mitglieder des CK, sondern auch die Mehrheit der Delegierten zum XVII. Parteitag. Von den 1966 Delegierten mit beschliessender und beratender Stimme wurden auf der Grundlage von Beschuldigungen wegen konterrevolutionärer Verbrechen weit mehr als die Hälfte – 1108 Personen – festgenommen. Schon dieser Fakt allein bezeugt, wie absurd, abwegig und wider allen gesunden Verstand der Vorwurf konterrevolutionärer Verbrechen war, der – wie sich jetzt herausstellt – gegen die Mehrheit der Teilnehmer des XVII. Parteitages vorgebracht worden war.

Es sei daran erinnert, dass der XVII. Parteitag in die Geschichte als Parteitag der Sieger einging. Die Delegierten für den Parteitag waren aktive Teilnehmer am Aufbau unseres sozialistischen Staates, viele von ihnen kämpften aufopferungsvoll um die Sache der Partei in den Vorrevolutionsjahren, in der Konspiration und an den Fronten des Bürgerkrieges, kämpften tapfer gegen die Feinde, sahen oft dem Tod ins Auge und zitterten nicht. Wie also soll man glauben, dass solche Leute in der Periode nach der politischen Zerschlagung der Sinowjewleute, Trotzkisten und Rechtsabweichler, nach den grossen Siegen des sozialistischen Aufbaus sich als „doppelzünglerisch“ herausstellten, ins Lager der Feinde des Sozialismus übergingen?

Dies geschah im Ergebnis des Machtmissbrauchs durch Stalin, der den Massenterror gegen die Parteikader anzuwenden begann.

Warum verstärkten sich die Massenrepressalien gegen die Aktivisten nach dem XVII. Parteitag immer mehr? Deshalb, weil Stalin in dieser Zeit sich so über die Partei und das Volk stellte, dass er überhaupt weder auf das CK noch auf die Partei etwas gab. Wenn er auch vor dem XVII. Parteitag noch die Meinung des Kollektivs respektierte, so beachtete Stalin nach der vollständigen politischen Zerschlagung der Trotzkisten, Sinowjew- und Bucharinleute, als im Ergebnis dieses Kampfes und des Sieges des Sozialismus die Einheit der Partei und des Volkes erlangt wurde, in immer grösserem Masse weder die CK-Mitglieder noch die Mitglieder des Politbüros. Stalin dachte, dass er von nun an in allen Angelegenheiten selbst entscheiden könne und die übrigen nur Statisten seien; alle anderen galten für ihn nur als Zuhörer und Lobspender.

Nach der verbrecherischen Ermordung S. M. Kirovs begannen Massenrepressalien, und es gab brutale Akte der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Am Abend des 1. Dezember 1934 unterschrieb der Sekretär des Präsidiums des Zentralen Exekutivkomitees Enukidze auf Initiative Stalins (ohne Beschluss des Politbüros; dieser Beschluss wurde erst zwei Tage später, im Umlaufverfahren ausgefertigt) folgende Anordnung:

„I. Den Untersuchungsbehörden ist vorzuschlagen, die Fälle von Personen, die der Vorbereitung bzw. der Verübung von Terrorakten beschuldigt werden, im Schnellverfahren abzuwickeln.

  1. Den Gerichtsorganen ist vorzuschlagen, die Vollstreckung der Urteile zur Höchststrafe in Anbetracht von Gnadengesuchen der Verbrecher dieser Kategorie nicht hinauszuschieben, da das Präsidium des CIK der Union der SSR es nicht für möglich hält, solche Gesuche zur Prüfung anzunehmen.

III. Den Organen des NKVD der Union der SSR ist vorzuschlagen, die Veruteilung zur Höchststrafe bei Verbrechern der genannten Kategorien sofort nach der Urteilsverkündung zu vollstrecken.“

Diese Verfügung bildete die Grundlage für massenhafte Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit. In vielen fabrizierten gerichtlichen Verfahren wurde den Beschuldigten die „Vorbereitung“ von Terrorakten zugeschrieben, und das beraubte die Angeklagten jeglicher Möglichkeit der Revision ihrer Angelegenheiten selbst dann, wenn sie vor Gericht die von ihnen erzwungenen „Geständnisse“ widerriefen und die gegen sie vorgebrachten Anklagen auf überzeugende Art zu Fall brachten.

Man muss feststellen, dass die Umstände der Ermordung Kirovs bislang in sich viele unverständliche und rätselhafte Fragen bergen und gründlichste Untersuchungen verlangen. Es gibt Anhaltspunkte für die Ansicht, dass dem Mörder Kirovs, Nikolaev, irgendjemand aus dem Personenschutz Kirovs geholfen hat. Eineinhalb Monate vor dem Mord war Nikolaev wegen verdächtigen Verhaltens verhaftet worden, doch man hat ihn auf freien Fuss gesetzt und nicht einmal eine Untersuchung durchgeführt. Äusserst verdächtig ist der Umstand, dass ein am 2. Dezember zum Verhör abgeholter Mitarbeiter der ČK, der Kirov zugeteilt worden war, bei einem „Verkehrsunfall“ umkam, während keine der ihn begleitenden Personen verletzt wurde. Nach der Ermordung Kirovs wurden leitende Mitarbeiter des Leningrader NKVD ihrer Funktionen enthoben und zu sehr milden Strafen verurteilt, aber 1937 wurden sie erschossen. Man darf vermuten, dass sie erschossen wurden, um die Spuren der Organisatoren des Mordes an Kirov zu verwischen.

Die Massenrepressalien verstärkten sich gewaltig seit Ende 1936, nach dem Telegramm Stalins und Ždanovs aus Soči vom 25. September 1936, das an Kaganovič, Molotov und andere Mitglieder des Politbüros adressiert war. Der Inhalt des Telegramms war folgender:

„Wir erachten es für absolut notwendig und dringend, Gen. Jeschow mit dem Posten des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten zu betrauen. Jagoda stand deutlich nicht auf der Höhe der Aufgaben bei der Entlarvung des trotzkistisch-Sinowjewistischen Blocks. Die OGPU ist in dieser Frage um vier Jahre in Verzug. Davon reden alle Parteiarbeiter und die Mehrheit der Gebietsvertreter des NKVD.“

Die Stalinsche Formulierung, wonach bei der Anwendung von Massenrepressalien das NKVD „um vier Jahre in Verzug“ war, dass man die Verspätungen schnell „aufholen“ solle, trieb die Mitarbeiter des NKVD direkt auf den Weg der Massenverhaftungen und Exekutionen.

Man muss feststellen, dass diese Formulierung auch der Februar/März-Plenum des CK der VKP(b) im Jahre 1937 aufgezwungen wurde. Die Resolution des Plenums, die auf der Grundlage der Rede von Jeschow „Die Lehren aus der Sabotagetätigkeit, Diversion und Spionage von japanisch-deutsch-trotzkistischen Agenten“ beschlossen wurde, lautete:

„Das Plenum des CK der VKP(b) ist der Ansicht, dass alle Fakten, die während der Untersuchung der Frage des antisowjetischen trotzkistischen Zentrums und seiner Anhänger vor Ort aufgedeckt wurden, davon zeugen, dass das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten sich mindestens um vier Jahre in der Entlarvung dieser schlimmsten Volksfeinde verspätet hat.“

Die Massenrepressalien wurden zu dieser Zeit unter der Losung des Kampfes gegen die Trotzkisten durchgeführt. Stellten denn die Trotzkisten zu jener Zeit wirklich eine solche Gefahr für unsere Partei und den Sowjetstaat dar? Es sollte daran erinnert werden, dass im Jahre 1927, am Vortag des XV. Parteitages, für die trotzkistisch-Sinowjewistische Opposition lediglich 4000 Personen stimmten, während sich für die Parteilinie 724000 aussprachen. Im Laufe von zehn Jahren, die zwischen dem XV. Parteitag und dem Februar/März-Plenum des CK vergingen, wurde der Trotzkismus vollkommen zerschlagen, viele ehemalige Trotzkisten sagten sich von ihren früheren Ansichten los und arbeiteten an verschiedenen Abschnitten des sozialistischen Aufbaus. Klar ist, dass unter den Bedingungen des Sieges des Sozialismus keine Gründe für Massenterror im Land vorlagen.

„Stalins Rede auf dem Februar/März-Plenum 1937 „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Massnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“ enthielt einen Versuch der theoretischen Begründung der Politik von Massenrepressalien unter dem Vorwand, dass im Zuge unseres Voranschreitens zum Sozialismus der Klassenkampf sich angeblich immer mehr zuspitzen musste. Stalin behauptete dabei, dass sowohl die Geschichte als auch Lenin dies lehrten.

In Wirklichkeit aber wies Lenin darauf hin, dass die Anwendung revolutionärer Gewalt von der Notwendigkeit bestimmt wird, den Widerstand der Ausbeuterklassen zu ersticken, und diese Hinweise Lenins bezogen sich auf die Periode, als noch starke Ausbeuterklassen existierten.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass, als sich die politische Situation im Lande verbesserte, nachdem im Januar 1920 Rostov von der Roten Armee eingenommen und der Sieg über Denikin in der Hauptsache errungen worden war, Lenin Dzeržinskij eine Instruktion zur Beendigung des Massenterrors und zur Aufhebung der Todesstrafe gab. Lenin begründete diesen wichtigen politischen Schritt der Sowjetmacht in seinem Bericht auf der Sitzung des Allrussländischen Zentralen Exekutivkomitees am 2. Februar 1920 auf folgende Weise:

„Der Terror wurde uns durch den Terrorismus der Entente aufgezwungen, als die stärksten Mächte der Welt, vor nichts zurückschreckend, mit ihren Horden über uns herfielen. Wir hätten uns keine zwei Tage halten können, wären wir diesen Versuchen der Offiziere und Weissgardisten nicht ohne Erbarmen begegnet, und das bedeutete Terror, aber der Terror wurde uns durch die terroristischen Methoden der Entente aufgezwungen. Sobald wir aber den entscheidenden Sieg errungen hatten, noch vor Beendigung des Krieges, sofort nach der Einnahme von Rostov, verzichteten wir auf die Anwendung der Todesstrafe und zeigten damit, dass wir zu unserem eigenen Programm so stehen, wie wir es versprochen haben. Wir erklären, dass sich die Anwendung von Gewalt aus der Aufgabe ergibt, die Ausbeuter, die Gutsbesitzer und Kapitalisten, zu unterdrücken; wenn das getan ist, verzichten wir auf alle ausserordentlichen Massnahmen. Wir haben das durch die Tat bewiesen.“

Stalin ging von diesen deutlichen und klaren programmatischen Weisungen Lenins ab. Später, als bereits alle Ausbeuterklassen in unserem Land liquidiert worden waren und es keinerlei ernsthafte Gründe zur massenhaften Anwendung ausserordentlicher Mittel, von Massenterror, gab, da stellte Stalin die Partei, die Organe des NKVD auf den Massenterror ein.

Dieser Terror war faktisch nicht gegen die Überreste der zerschlagenen Ausbeuterklassen gerichtet, sondern gegen ehrliche Kader der Partei und des Sowjetstaates, gegen die verlogene, verleumderische und unsachliche Vorwürfe der „Doppelzünglerei“, „Spionagetätigkeit“, „Sabotage“ und Vorbereitung irgendwelcher erdachter „Attentate“ usw. vorgebracht wurden.

Auf dem Februar/März-Plenum im Jahre 1937 bezweifelten viele CK-Mitglieder im Grunde genommen die Richtigkeit des Kurses der Massenrepressalien, der unter dem Vorwand des Kampfes gegen die „Doppelzüngler“ eingeschlagen worden war.

Am deutlichsten drückte diese Zweifel Gen. Postyschew aus. Er sagte:

„Ich verstehe es so: Es sind schwere Jahre des Kampfes vergangen, rückgratlose Parteimitglieder zerbrachen oder gingen ins Lager der Feinde über, die gesunden Elemente kämpften um die Sache der Partei. Das waren die Jahre der Industrialisierung, der Kollektivierung. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Karpov und seinesgleichen, nachdem sie diese schwere Periode durchgestanden hatten, im Lager der Feinde landen würden. Aus den Geständnissen ergibt sich angeblich, dass Karpov 1934 von den Trotzkisten angeworben wurde. Ich persönlich meine, dass es unglaubwürdig ist, dass 1934 ein ehrliches Parteimitglied, das den langen Weg des erbitterten Kampfes gegen die Feinde für die Sache der Partei, für den Sozialismus gegangen ist, sich im Lager der Feinde wieder finden sollte. Ich glaube nicht daran… Ich kann mir nicht vorstellen, dass man zusammen mit der Partei schwere Jahre gehen und dann 1934 zu den Trotzkisten überwechseln kann. Das ist merkwürdig…“

Indem sie sich der Formulierung Stalins bedienten, wonach es immer mehr Feinde geben wird, je näher man dem Sozialismus kommt, und sich auf die zur Rede von Jeschow beschlossene Resolution des Plenums von Februar/März  beriefen, begannen in die Staatssicherheitsorgane eingedrungene Provokateure und gewissenlose Karrieristen, den Massenterror gegen Kader der Partei und des Sowjetstaates, gegen einfache Sowjetbürger mit dem Namen der Partei zu tarnen. Es genügt zu sagen, dass die Anzahl derjenigen, die aufgrund von Beschuldigungen wegen konterrevolutionärer Verbrechen verhaftet wurden, sich im Jahre 1937 im Vergleich zu 1936 um mehr als das Zehnfache vergrösserte!

Es ist bekannt, mit welcher brutalen Willkür auch gegen führende Funktionäre der Partei vorgegangen wurde. Das Parteistatut, das vom XVII. Parteitag angenommen wurde, beruhte auf den Leninistischen Weisungen aus der Zeit des X. Parteitages und besagte, dass man, um gegen ein Mitglied des CK, einen Kandidaten des CK oder ein Mitglied der Parteikontrollkommission eine äusserste Massnahme wie den Parteiausschluss anzuwenden, ein Plenum des CK einberufen und zu diesem Plenum „alle Kandidaten des CK sowie alle Mitglieder der Parteikontrollkommission“ laden müsse. Nur unter der Bedingung, dass eine solche Gesamtversammlung verantwortlicher hoher Parteifunktionäre mit Zweidrittelmehrheit es für nötig erachtet, kann der Parteiausschluss eines Mitglieds oder Kandidaten des CK verfügt werden.

Die Mehrheit der Mitglieder und Kandidaten des CK, die durch den XVII. Parteitag gewählt und in den Jahren 1937/1938 verhaftet wurden, wurde aus der Partei widerrechtlich, unter brutaler Verletzung des Parteistatuts, ausgeschlossen, weil die Frage ihres Ausschlusses nicht von einem CK-Plenum erörtert wurde.

Heute, da die Fälle einiger dieser angeblichen „Spione“ und „Schädlinge“ untersucht worden sind, wurde festgestellt, dass diese Fälle fabriziert wurden. Das Schuldbekenntnis vieler Verhafteter, die wegen feindlicher Aktivitäten angeklagt wurden, wurde mit Hilfe grausamer, unmenschlicher Folterungen erreicht.

Wie Mitglieder des damaligen Politbüros informieren, hat Stalin ihnen die Erklärungen einer Reihe verleumdeter politischer Funktionäre vorenthalten, wenn diese ihre Aussagen vor dem Militärkollegium zurücknahmen und um eine objektive Untersuchung ihrer Angelegenheit baten. Solche Erklärungen gab es nicht wenige, und Stalin kannte sie zweifellos.

Das Zentralkomitee hält es für notwendig, den Parteitag über viele konstruierte „Fälle“ von Mitgliedern des CK zu informieren, die auf dem XVII. Parteitag gewählt worden waren.

Ein Beispiel einer gemeinen Provokation, einer widerwärtigen Fälschung und einer verbrecherischen Verletzung der revolutionären Gesetzlichkeit ist der Fall des ehemaligen Kandidaten des Politbüros, eines führenden Partei- und sowjetischen Staatsfunktionärs, des Genossen Eiche, Mitglied der Partei seit dem Jahre 1905.

Gen. Eiche wurde am 29. April 1938 auf der Grundlage verleumderischer Materialien verhaftet, ohne Zustimmung des Staatsanwalts der UdSSR, die erst 15 Monate nach der Verhaftung erlangt wurde.

Die Untersuchung des Falles Eiche wurde unter Bedingungen der gröbsten Verletzung der sowjetischen Gesetzlichkeit, der Willkür und der Fälschungen durchgeführt.

Eiche wurde durch Folterungen zur Unterzeichnung von Aussageprotokollen gezwungen, die die Untersuchungsrichter vorformuliert hatten, in denen gegen ihn selbst und eine Reihe prominenter Partei- und Sowjetfunktionäre Anklagen wegen antisowjetischer Tätigkeit vorgebracht wurden.

Am 1. Oktober 1939 übermittelte Eiche zu Händen Stalins eine Erklärung, in der er kategorisch seine Schuld bestritt und um die Untersuchung seines Falles bat. In der Erklärung schrieb er:

„Es gibt keine grössere Qual, als im Gefängnis einer Gesellschaftsordnung zu sitzen, um die ich immer gekämpft habe.“

Es hat sich eine zweite Erklärung Eiches erhalten, die er am 27. Oktober 1939 an Stalin schickte und in der er überzeugend, auf Tatsachen gestützt, die gegen ihn gerichteten verleumderischen Anklagen zu Fall brachte und nachwies, dass die provokatorischen Anschuldigungen einerseits das Werk echter Trotzkisten waren, die sich verabredet hatten, sich an ihm zu rächen, weil er als Erster Sekretär des Westsibirischen Kreiskomitees der Partei ihre Verhaftung sanktioniert hatte, und zum anderen das Resultat einer gemeinen Fälschung der Materialien durch die Untersuchungsrichter.

Eiche schrieb in seiner Erklärung:

„Am 25. Oktober d. J. wurde ich über den Abschluss der Untersuchung meines Falles informiert, und mir wurde gestattet, mich mit den Untersuchungsmaterialien vertraut zu machen. Wenn ich auch nur in einem Hundertstel auch nur eines der mir zur Last gelegten Verbrechen schuldig wäre – ich würde es nicht wagen, Ihnen diese vor dem Tode geschriebene Erklärung zu übermitteln, doch ich habe kein einziges der mir vorgeworfenen Verbrechen begangen, und in meinem Herzen hat es niemals auch nur den Schatten einer Niederträchtigkeit gegeben. Zu keiner Zeit meines Lebens habe ich Ihnen gegenüber ein unwahres Wort gesagt, und jetzt, da ich mich mit beiden Beinen schon im Grab befinde, belüge ich Sie ebenfalls nicht. Mein gesamter Fall ist ein typisches Beispiel einer Provokation, von Verleumdung und Verletzung der elementaren Grundlagen der revolutionären Gesetzlichkeit.

…Die in den Untersuchungsakten befindlichen, mich belastenden Aussagen sind nicht nur unsinnig, sondern enthalten in vielen Punkten Verleumdungen gegen das CK der VKP(b) und den Rat der Volkskommissare. So werden die richtigen Beschlüsse dieser Organe, die weder auf meine Initiative noch unter meiner Beteiligung zustande gekommen waren, als feindliche Akte einer konterrevolutionären Organisation dargestellt, die auf meinen Vorschlag verabschiedet worden wären.

Nun komme ich zum schändlichsten Abschnitt meines Lebens“, schreibt Eiche, „und meiner tatsächlich schweren Schuld der Partei und Ihnen gegenüber. Das ist mein Geständnis konterrevolutionärer Tätigkeit … Die Sache war so: Ich hielt die Folterungen nicht mehr aus, die Uschakow und Nikolaev gegen mich anwandten, und zwar besonders der erstgenannte, der die Tatsache ausnutzte, dass meine Wirbel, die gebrochen waren, schlecht verheilten, und der mir unerträgliche Schmerzen zufügte. Sie zwangen mich zur Verleumdung der eigenen Person und zur Verleumdung anderer.

Die Mehrzahl meiner Aussagen wurde mit von Uschakow eingeflösst oder diktiert. Die übrigen gab ich aus dem Gedächtnis aus den Materialien des NKVD von Westsibirien wieder, wobei ich mir alle die in den NKVD-Materialien angeführten Fakten zuschrieb. Wenn in der von Uschakow fabrizierten und von mir unterschriebenen Lesart etwas nicht ganz stimmte, wurde ich gezwungen, eine andere Variante zu unterschreiben. So war es im Fall Ruchimovič, den man anfangs zum Reservezentrum rechnete, was später – ohne es mir mitzuteilen – wieder gestrichen wurde, dasselbe galt für den Vorsitzenden des angeblich von Bucharin 1935 geschaffenen Reservezentrums. Zuerst trug ich meinen Namen ein, später wurde mir aufgetragen, den von Mežlauk einzutragen, und es gab viele ähnliche Vorkommnisse…

…Ich bitte Sie und flehe Sie an, anzuweisen, dass mein Fall erneut untersucht wird, und zwar nicht, um mich zu schonen, sondern um die nichtswürdige Provokation aufzudecken, die wie eine Schlange viele Menschen umwickelt hat, insbesondere wegen meiner Verzagtheit und der verbrecherischen Beschuldigung. Sie und die Partei habe ich niemals verraten. Ich weiss, dass ich infolge der unwürdigen, niederträchtigen Tätigkeit von Feinden der Partei und des Volkes umkommen werde, die eine Provokation gegen mich zurechtgebastelt haben.“

Es hätte sich gehört, dass eine so wichtige Erklärung vom CK unbedingt zu erörtern gewesen wäre. Doch dazu kam es nicht, die Erklärung wurde an Berija übermittelt, und die grausame Abrechnung mit dem verleumdeten Politbürokandidaten Gen. Eiche setzte sich fort.

Am 2. Februar 1940 stand Gen. Eiche vor Gericht. Im Gerichtssaal bekannte sich Gen. Eiche nicht zu seiner Schuld und erklärte folgendes:

„In allen meinen angeblichen Aussagen gibt es keinen einzigen von mir selbst stammenden Buchstaben mit Ausnahme der Unterschriften unter den Protokollen, zu denen man mich gezwungen hat. Die Aussagen machte ich unter dem Druck des Untersuchungsrichters, der mich vom Beginn meiner Verhaftung an misshandelte. Daraufhin begann ich allerhand Dummheiten zu schreiben … Die Hauptsache ist für mich, dem Gericht, der Partei und Stalin zu sagen, dass ich nicht schuldig bin. Niemals war ich an einer Verschwörung beteiligt. Ich sterbe mit demselben Glauben an die Richtigkeit der Politik der Partei, wie ich an sie im Verlauf meiner gesamten Arbeit geglaubt habe.“

Am 4. Februar wurde Eiche erschossen. Heute steht unbestreitbar fest, dass der Fall Eiche fabriziert worden ist.

Vollständig zog der Kandidat des Politbüros Gen. Rudzutak, Mitglied der Partei seit 1905, der 10 Jahre im zaristischen Zuchthaus zugebracht hatte, vor Gericht seine erzwungenen Aussagen zurück. Das Sitzungsprotokoll des Militärkollegiums des Obersten Gerichtshofes enthält folgende Erklärung Rudzutaks:

„…Die einzige Bitte, die er an das Gericht hat, ist die, dem CK der VKP(b) zur Kenntnis zu geben, dass in den Organen des NKVD ein noch nicht liquidiertes Zentrum existiert, das künstlich Fälle konstruiert und völlig unschuldige Menschen dazu zwingt, sich schuldig zu bekennen; dass es keine Möglichkeit gibt, die Umstände der Anklage zu untersuchen und es überhaupt nicht möglich ist, seine eigene Nichtbeteiligung an Verbrechen zu beweisen, von denen in diesen oder jenen Aussagen verschiedener Personen die Rede ist. Die Untersuchungsmethoden sind so, dass sie dazu zwingen, zu lügen und völlig unschuldige Menschen, vom Angeklagten selber gar nicht zu reden, zu verleumden. Er bittet das Gericht, ihm zu ermöglichen, all das dem CK der VKP(b) zu schreiben. Er versichert dem Gericht, dass er persönlich niemals irgendwelche bösen Absichten gegenüber der Politik unserer Partei gehabt habe, weil er stets mit der Parteipolitik in allen Bereichen des ökonomischen und kulturellen Aufbaus übereinstimmte.“

Diese Erklärung Rudzutaks wurde ignoriert, obwohl dieser bekanntlich seinerzeit Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission gewesen war, die entsprechend der Konzeption Lenins zum Kampf für die Einheit der Partei geschaffen wurde. So wurde der Vorsitzende eines so massgeblichen Parteiorgans ein Opfer brutaler Willkür: er wurde nicht einmal vor das Politbüro gerufen, Stalin wollte nicht mit ihm reden. Er wurde innerhalb von 20 Minuten verurteilt und erschossen.

Nach exakter Untersuchung des Falles im Jahre 1955 wurde festgestellt, dass die Anklage gegen Rudzutaks fabriziert war und dass er auf der Grundlage verleumderischer Materialien verurteilt wurde. Rudzutaks wurde postum rehabilitiert.

Auf welche Weise damalige Mitarbeiter des NKVD künstlich, mittels provokatorischer Methoden verschiedene „antisowjetische Zentren“ und „Blöcke“ konstruierten, geht aus den Aussagen des Gen. Rozenbljum hervor, Parteimitglied seit 1906, der von der Leningrader Abteilung des NKVD 1937 verhaftet worden war.

Während der Überprüfung des Falls Komarov im Jahre 1955, des ehemaligen Untersuchungsrichters des NKVD, berichtete Rozenbljum von folgendem Vorgang: Als man ihn, Rozenbljum, 1937 verhaftete, wurde er grausamen Folterungen unterworfen, in deren Verlauf von ihm falsche Aussagen erzwungen wurden, die sowohl ihn selbst als auch andere Personen betrafen, Anschliessend wurde er ins Dienstzimmer von Zakovskij geführt, der ihm die Entlassung unter der Bedingung anbot, dass er vor Gericht unwahre Aussagen in dem 1937 vom NKVD fabrizierten „Fall des Leningrader Sabotage-, Terror-, Diversions- und Spionagezentrums“ mache. Mit unglaublichem Zynismus enthüllte Zakovskij den widerwärtigen „Mechanismus“ der künstlichen Schaffung erfundener „antisowjetischer Verschwörungen“.

„Um mir das zu veranschaulichen“, erklärte Rozenbljum, „legte Zakovskij mir einige Varianten eventueller Schemata dieses Zentrums und seiner Verzweigungen vor…

Nachdem er mich mit diesen Schemata vertraut gemacht hatte, sagte Zakovskij, dass das NKVD den Fall dieses Zentrums vorbereitet, mit dem Hinweis, dass der Prozess öffentlich sein werde.

Vor Gericht gebracht werden sollte die Führungsspitze des Zentrums, vier bis fünf Personen: Tschudow, Ugarov, Smorodin, Pozern, Schaposchnikowa und andere, sowie aus jeder Filiale 2-3 Personen…

…Der Fall des Leningrader Zentrums sollte solide behandelt werden, und hierbei hätten die Zeugen entscheidende Bedeutung. Keine geringe Rolle spiele hierbei auch die gesellschaftliche Position (natürlich in der Vergangenheit) und die Dauer der Parteizugehörigkeit des Zeugen.

„Du“, sagte Zakovskij, „wirst nichts erfinden müssen. Das NKVD bereitet für dich eine fertige Vorlage für jede Filiale einzeln vor, deine Sache ist es, das auswendig zu lernen, alle Fragen, die vom Gericht gestellt werden können, und Antworten darauf gut in Erinnerung zu behalten. Der Fall wird im Laufe von vier bis fünf Monaten vorbereitet, vielleicht auch innerhalb eines halben Jahres. In dieser Zeit wirst du dich vorbereiten, um die Untersuchung und dich selbst nicht zu kompromittieren. Von Verlauf und Ergebnis des Prozesses wird dein weiteres Schicksal abhängen. Wenn du versagst und Unsinn zu reden beginnst, mach dir dann selbst den Vorwurf. Wenn du aushältst, rettest du deine Rübe (Kopf), und wir werden dich bis zum Tode auf Kosten des Staates unterhalten und kleiden.“

In noch breiterem Massstab wurde die Fabrizierung von Strafverfahren vor Ort betrieben. Die NKVD-Verwaltung des Gebiets Sverdlovsk „entdeckte“ den so genannten „Aufstandsstab des Uralgebiets – Organ eines Blocks von Rechten, Trotzkisten, Sozialrevolutionären und Kirchenleuten“ –, an dessen Spitze angeblich der Sekretär des Sverdlovsker Gebietskomitees der Partei, Mitglied des CK der VKP(b) Kabakov gestanden habe, der seit 1914 der Partei angehörte. Aus den Untersuchungsmaterialien dieser Zeit geht hervor, dass in fast allen Regionen, Gebieten und Republiken weit verzweigte „rechtstrotzkistische Spionage- und Terror-, Diversions- und Schädlingsorganisationen und -zentren“ existiert und dass an der Spitze dieser „Organisationen“ und „Zentren“ in der Regel – unbekannt, weshalb – die Ersten Sekretäre der Gebiets- und Kreiskomitees oder der Zentralkomitees der KPs der nationalen Republiken gestanden hätten.

Im Ergebnis dieser ungeheuerlichen Fälschung solcher „Fälle“, als Folge dessen, dass verschiedenen verleumderischen „Aussagen“ sowie erzwungenen Selbstbeschuldigungen und Anschwärzungen anderer Glauben geschenkt wurde, sind viele Tausende ehrliche, unschuldige Kommunisten umgekommen. Auf die gleiche Art und Weise wurden die „Fälle“ solch prominenter Partei- und Staatsfunktionäre wie Kosior, Tschubarjan, Postyschew, Kosarev und anderer fabriziert.

In diesen Jahren sind durch nichts gerechtfertigte Massenrepressalien angewandt worden, in deren Ergebnis die Partei grosse Verluste ihrer Kader erlitt.

Eingebürgert hatte sich die verbrecherische Praxis, im NKVD Listen derjenigen Personen anzufertigen, für deren Fälle das Militärkollegium zuständig war und für die von vornherein das Strafmass festgelegt wurde.

Diese Listen übermittelte Jeschow an Stalin persönlich, damit er die vorgeschlagenen Strafen bestätigte. In den Jahren 1937/1938 sind 383 solche Listen an Stalin geschickt worden, die die Namen von vielen Tausenden Partei-, Sowjet-, Komsomol-, Militär- und Wirtschaftsfunktionären enthielten und die seine Billigung fanden.

Ein bedeutender Teil dieser Verfahren wird gegenwärtig der Revision unterzogen und eine grosse Zahl davon als unbegründet und gefälscht eingestellt. Es genügt zu sagen, dass seit 1954 bis jetzt das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes bereits 7679 Personen rehabilitiert hat, wobei viele von ihnen postum rehabilitiert wurden.

Die Massenverhaftungen von Partei-, Sowjet-, Wirtschafts- und Militärfunktionären haben unserem Land, der Sache des sozialistischen Aufbaus gewaltige Schäden zugefügt.

Die Massenrepressalien hatten einen ungünstigen Einfluss auf den politisch-moralischen Zustand der Partei, brachten Unsicherheit hervor, trugen zur Verbreitung krankhaften Argwohns bei, säten gegenseitiges Misstrauen zwischen den Kommunisten. Verleumder und Karrieristen aller Art erhielten Auftrieb.

Eine gewisse Gesundung der Parteiorganisationen brachten die Beschlüsse des Januar-Plenums des CK der VKP(b) im Jahre 1938. Doch die breit angelegten Repressalien dauerten auch 1938 an.

Und nur weil unsere Partei über grosse moralisch-politische Kraft verfügt, konnte sie mit den schweren Ereignissen der Jahre 1937/1938 fertig werden, diese Ereignisse überleben und neue Kader heranziehen. Doch es besteht kein Zweifel, dass unser Vormarsch zum Sozialismus und die Vorbereitung auf die Verteidigung des Landes bedeutend erfolgreicher verlaufen wären, wenn es nicht die gewaltigen Verluste bei den Kadern gegeben hätte, die wir infolge der massenhaften, unbegründeten und ungerechtfertigten Repressalien in den Jahren 1937/1938 erlitten.

Wir klagen Jeschow völlig zu Recht der Anwendung entarteter Praktiken im Jahre 1937 an. Doch man muss auch auf solche Fragen antworten: Konnte Jeschow selbst ohne Stalins Wissen beispielsweise Kosior verhaften? Gab es einen Meinungsaustausch oder einen Beschluss des Politbüros in dieser Angelegenheit? Nein, es gab sie nicht, so wie es sie auch in anderen derartigen Fällen nicht gab. Konnte Jeschow über derart wichtige Fragen entscheiden wie das Schicksal hervorragender Parteifunktionäre? Nein, es wäre naiv, dies für das Werk Jeschows allein zu halten. Klar ist, dass über solche Dinge Stalin entschied, dass ohne seine Weisungen, ohne seine Zustimmung Jeschow nichts hätte tun können.

Wir haben jetzt die Fälle Kosior, Rudzutak, Postyschew, Kosarev und andere untersucht und diese Genossen rehabilitiert. Auf welcher Grundlage hatte man sie verhaftet und verurteilt? Die Prüfung der Unterlagen zeigte, dass es dafür keinerlei Grundlagen gab. Man hat sie ähnlich wie viele andere ohne Zustimmung des Staatsanwalts verhaftet. Unter diesen Bedingungen war auch keinerlei Zustimmung nötig; welche Zustimmung konnte es noch geben, wenn Stalin über alles entschied? Er war der Oberstaatsanwalt in diesen Fragen. Stalin erteilte nicht nur die Erlaubnis, er gab sogar auf eigene Initiative Weisungen für Festnahmen. Man muss das sagen, damit für die Parteitagsdelegierten alles klar ist, damit sie das richtig beurteilen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen können.

Die Tatsachen beweisen, dass viele Missbräuche auf Weisung Stalins erfolgten, ohne irgendwelche Normen der parteilichen und sowjetischen Gesetzlichkeit zu beachten. Stalin war ein sehr misstrauischer Mensch mit krankhaftem Argwohn, wovon wir, die wir mit ihm arbeiteten, uns überzeugen konnten. Er konnte einen Menschen ansehen und sagen: „Warum haben Sie heute einen so unruhigen Blick?“ oder: „Weshalb wenden Sie sich heute so oft um und sehen mir nicht direkt in die Augen?“ Der krankhafte Argwohn rief bei ihm wahlloses Misstrauen hervor, darunter auch im Verhältnis zu prominenten Parteifunktionären, die er seit vielen Jahren kannte. Überall, auf Schritt und Tritt, sah er „Feinde“, „Doppelzüngler“ und „Spione“.

Im Besitz einer unbeschränkten Macht tolerierte er grausame Willkür, erdrückte er die Menschen moralisch und physisch. Es entstand eine solche Situation, in der der Mensch seinen eigenen Willen nicht vorbringen konnte.

Wenn Stalin sagte, der oder jener sei festzunehmen, so musste man glauben, dass dies ein „Volksfeind“ war. Und die Berija-Bande, die die Macht in den Staatssicherheitsorganen hatte, liess nichts unversucht, um die Schuld der verhafteten Personen und die Schlüssigkeit der von ihr fabrizierten Materialien zu beweisen. Und welche Beweise wurden vorgelegt? Das Geständnis der Verhafteten. Und die Untersuchungsrichter führten diese „Geständnisse“ herbei. Aber wie kann man einen Menschen dazu bringen, sich zu einem Verbrechen zu bekennen, das er nie begangen hat? Nur auf eine Art – durch Anwendung von physischen Methoden der Beeinflussung, durch Folter, Beraubung des Bewusstseins, des Verstandes, der menschlichen Würde. Auf diese Weise wurden die „Geständnisse“ erreicht.

Als die Welle von Massenrepressalien 1939 abzuflauen begann, als die Führer von territorialen Parteiorganisationen begannen, Mitarbeiter des NKVD der Anwendung physischer Einwirkungsmethoden gegenüber Verhafteten anzuklagen, richtete Stalin am 10. Januar 1939 ein chiffriertes Telegramm an die Sekretäre der Gebiets- und Kreiskomitees, an die Zentralkomitees der nationalen KPs, an die Volkskommissare für Innere Angelegenheiten und die Chefs der NKVD-Verwaltungen. Das Telegramm lautete:

„Das CK der VKP(b) erklärt, dass die Anwendung physischer Einwirkung in der Praxis des NKVD seit 1937 mit Erlaubnis des CK der VKP(b) zugelassen ist… Bekannt ist, dass alle bürgerlichen Geheimdienste physische Einwirkung gegenüber den Vertretern des sozialistischen Proletariats anwenden, und zwar in den abscheulichsten Formen. Es erhebt sich die Frage, warum ein sozialistischer Geheimdienst gegenüber erbitterten Agenten der Bourgeoisie, gegenüber Todfeinden der Arbeiterklasse und der Kolchosbauern humaner sein sollte. Das CK der VKP(b) ist der Ansicht, dass die Methode der physischen Einwirkung auch weiterhin unbedingt gegenüber offenen und sich nicht ergebenden Feinden des Volkes als vollkommen richtige und zweckmässige Methode ausnahmsweise angewendet werden sollte.“

Somit wurden die brutalste Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, die Folter, die Quälerei, die – wie zuvor bereits festgestellt – zur Diffamierung und Selbstanschwärzung unschuldiger Menschen führten, durch Stalin im Namen des CK der VKP(b) sanktioniert.

Kürzlich, nur einige Tage vor dem jetzigen Parteitag, haben wir den Untersuchungsrichter Rodos, der seinerzeit die Untersuchung und Verhöre im Fall von Kosior, Tschubarjan und Kosarev führte, zu einer Sitzung des CK-Präsidiums geladen und befragt. Das ist ein elender Mensch mit einem Spatzenhirn, in moralischer Hinsicht buchstäblich eine Missgeburt. Und solch ein Mensch entschied über das Schicksal hervorragender Parteifunktionäre, entschied auch über die Politik in diesen Fragen, da er ja durch den Nachweis ihres „Verbrechertums“ zugleich Material für ernsthafte politische Schlussfolgerungen lieferte.

Es fragt sich, ob ein solcher Mensch allein darauf kommen konnte, die Untersuchung so zu führen, um die Schuld von Menschen wie Kosior und anderer nachzuweisen. Nein, das konnte er nicht ohne die entsprechenden Weisungen. Auf der Sitzung des Präsidiums des CK erklärte er uns folgendes: „Man hat mir gesagt, dass Kosior und Tschubarjan Feinde des Volkes sind, deshalb musste ich als Untersuchungsrichter von ihnen das Geständnis erlangen, dass sie Feinde sind.“

Er konnte dahin nur über den Weg lang andauernder Folterungen gelangen, was er auch tat, wobei er detaillierte Instruktionen von Berija erhielt. Man muss sagen, dass Rodos auf der Sitzung des CK-Präsidiums zynisch erklärte: „Ich glaubte, dass ich die Weisung der Partei ausführte.“ So also wurde die Weisung Stalins in der Frage der Anwendung von Methoden der physischen Einwirkung gegenüber Verhafteten ausgeführt.

Diese und viele andere Fakten zeugen davon, dass jegliche Normen der angemessenen, parteilichen Lösung von Problemen ausgeschaltet wurden, dass alles der Willkür einer einzelnen Person untergeordnet wurde.

***

Die Einzelherrschaft Stalins führte zu besonders schweren Folgen im Verlauf des Grossen Vaterländischen Krieges.

Nimmt man unsere zahlreichen historischen Romane, Filme und historischen „wissenschaftlichen Studien“, so wird in ihnen die Rolle Stalins im Vaterländischen Krieg ganz und gar nicht wahrheitsgemäss dargestellt. Gewöhnlich zeichnet man folgendes Schema: Stalin hat alles vorausgesehen. Die Sowjetarmee verfolgte aufgrund des strategischen Plans, den Stalin, so würden sie fast sagen, prophetisch im Voraus entwickelt hatte, die Taktik der „aktiven Verteidigung“, eine Taktik, die bekanntlich die Deutschen bis vor Moskau und Stalingrad kommen liess. In Anwendung dieser Taktik ging die Sowjetarmee angeblich nur dank der Genialität Stalins zur Offensive über und zerschmetterte den Feind. Der epochale Sieg, der von den Streitkräften des Sowjetlandes, von unserem heldenhaften Volk errungen wurde, wird somit in den Romanen, Filmen und „wissenschaftlichen Studien“ vollkommen der strategischen Genialität Stalins zugeschrieben.

Man muss diese Frage aufmerksam analysieren, weil sie nicht nur grosse historische Bedeutung, sondern vor allem auch politische, erzieherische und praktische Bedeutung hat.

Wie sind die Tatsachen in dieser Angelegenheit?

Vor dem Krieg herrschte in unserer Presse und in der gesamten Erziehungsarbeit ein prahlerischer Ton: Wenn der Feind die heilige sowjetische Erde überfällt, dann antworten wir auf den Stoss des Feindes mit einem dreifachen Stoss. Den Krieg werden wir auf das Territorium des Feindes tragen und ihn bei geringen Verlusten gewinnen. Doch diese plakativen Erklärungen waren durchaus nicht in allen Bereichen durch konkrete Vorkehrungen gestützt, die tatsächlich die Unverletzlichkeit unserer Grenzen gewährleistet hätten.

Im Verlauf des Krieges und danach brachte Stalin die These vor, dass die Tragödie, die unser Volk in der ersten Periode des Krieges erlebte, angeblich das Ergebnis des „unerwarteten“ Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion gewesen sei. Aber, Genossen, das entspricht doch überhaupt nicht der Wirklichkeit. Hitler stellte sich unmittelbar nach der Machtübernahme in Deutschland das Ziel der Zerschmetterung des Kommunismus. Die Faschisten sprachen offen darüber und verheimlichten ihre Pläne nicht. Zur Verwirklichung dieser aggressiven Ziele wurden verschiedenartige Pakte, Blöcke und Achsen gezimmert, solche wie die berüchtigte Achse Berlin-Rom-Tokio. Zahlreiche Fakten aus der Vorkriegsperiode bezeugen deutlich, dass Hitler alle Kräfte darauf richtete, den Krieg gegen den Sowjetstaat auszulösen, und dass er gewaltige militärische Verbände, darunter auch Panzerverbände, in der Nähe der sowjetischen Grenzen konzentrierte.

Aus den heute veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass Churchill schon am 3. April 1941 durch Vermittlung des britischen Botschafters in der UdSSR, Cripps, Stalin persönlich warnte, dass die deutschen Truppen eine neue Verlagerung begonnen hatten und sich auf den Überfall auf die Sowjetunion vorbereiteten. Churchill konstatierte in seinem Schreiben, er bitte darum, „Stalin zu warnen und ihn auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen“. Churchill unterstrich das mit Nachdruck auch in seinen Telegrammen vom 18. April und an den folgenden Tagen. Stalin zog diese Warnungen jedoch nicht in Betracht. Mehr noch, Stalin wies an, dass derartigen Informationen nicht geglaubt werden solle, um angeblich keine militärischen Handlungen zu provozieren.

Festzustellen gilt, dass derartige Informationen über die drohende Gefahr des Einfalls deutscher Truppen in das Territorium der Sowjetunion auch über unsere militärischen und diplomatischen Vertretungen eintrafen. Aber weil die Führung von vornherein gegenüber derartigen Informationen voreingenommen war, wurden sie jedes Mal mit entsprechenden Vorbehalten formuliert.

So teilte z.B. der Militär- und Marineattaché in Berlin, Kapitän Voroncov, in einem Telegramm vom 6. Mai 1941 mit: „Der Sowjetbürger Bozer… teilte unserem stellvertretenden Marineattaché mit, dass den Worten eines Offiziers aus dem Hauptquartier Hitlers zufolge die Deutschen für den 14. Mai einen Überfall auf die UdSSR über Finnland, die baltischen Länder und Lettland vorbereiten. Gleichzeitig sollen grosse Luftangriffe gegen Moskau und Leningrad geflogen sowie Fallschirmspringerlandungen in Grenzstädten vorgenommen werden…“

In seinem Bericht vom 22. Mai 1941 teilte der stellvertretende Militärattaché in Berlin, Chlopov, mit, dass „…der Angriff der deutschen Truppen angeblich auf den 15.6. festgelegt wurde, doch es ist möglich, dass er in den ersten Juni-Tagen beginnt…“

In einem Telegramm unserer Botschaft aus London vom 18. Juni 1941 wurde mitgeteilt: „Was den gegenwärtigen Augenblick betrifft, so ist Cripps fest davon überzeugt, dass der bewaffnete Zusammenstoss zwischen Deutschland und der UdSSR unvermeidlich ist, und zwar nicht später als Mitte Juni. Den Worten von Cripps zufolge haben die Deutschen bis zum heutigen Tag an den sowjetischen Grenzen 147 Divisionen, (Luftstreitkräfte und Hilfstruppen eingeschlossen) konzentriert…“

Trotz dieser ungewöhnlich ernsten Signale wurden keine ausreichenden Massnahmen ergriffen, um das Land zur Verteidigung gut vorzubereiten und das Überraschungsmoment auszuschliessen.

Hatten wir Zeit und Möglichkeiten für solche Vorbereitungen? Ja, wir hatten die Zeit und die Möglichkeiten. Unsere Industrie war bereits auf einem solchen Niveau, dass sie die Sowjetarmee mit allem, was sie benötigte, versorgen konnte. Das wird schon dadurch bestätigt, dass das sowjetische Volk, nachdem wir im Verlauf des Krieges fast die Hälfte unserer gesamten Industrie wegen der Besetzung der Ukraine, des Nordkaukasus, der Westgebiete des Landes, wichtiger Industrie- und Getreidegebiete durch den Feind verloren hatten, in der Lage war, die Produktion von militärischer Ausrüstung in den östlichen Gebieten des Landes zu organisieren, die dorthin aus den westlichen Industrierevieren transportierten Ausrüstungen in Betrieb zu setzen und unsere Streitkräfte mit allem zu versorgen, was zur Zerschlagung des Feindes gebraucht wurde.

Wenn unsere Industrie rechtzeitig und ausreichend zur Versorgung der Armee mit Waffen und nötigem Gerät mobilisiert worden wäre, dann hätten wir unermesslich weniger Opfer in diesem Krieg davongetragen. Eine solche Mobilisierung wurde jedoch nicht rechtzeitig vorgenommen. Und bereits in den ersten Kriegstagen zeigte sich, dass unsere Armee schlecht ausgerüstet war, dass sie nicht genügend Artillerie, Panzer und Flugzeuge zur Abwehr des Feindes besass.

Die sowjetische Wissenschaft und Technik hatten vor dem Krieg ausgezeichnete Typen von Panzern und Artillerie entwickelt. Doch es wurde für all das keine Massenproduktion organisiert, und wir sind praktisch erst am Vorabend des Krieges zur Modernisierung der Armeeausrüstung übergegangen. Infolgedessen hatten wir im Augenblick des Überfalls des Feindes auf das Sowjetland weder ausreichende Mengen an altem Gerät, das wir ja aus der Ausrüstung herausgenommen hatten, noch an neuem Gerät, dessen Einführung wir erst beabsichtigten. Sehr schlecht stand es um die Luftabwehrgeschütze, nicht organisiert worden war die Produktion von Panzerabwehrmunition. Viele befestigte Gebiete erwiesen sich im Augenblick des Überfalls als ungeschützt, weil die alten Waffen von ihnen abgezogen und neue noch nicht verfügbar waren.

Leider galt dies nicht nur für Panzer, Artillerie und Flugzeuge. Im Moment des Kriegsausbruchs hatten wir nicht einmal eine ausreichende Zahl von Gewehren zur Bewaffnung der Einberufenen. Ich erinnere mich, dass ich in jenen Tagen von Kiew aus Malenkov anrief und ihm sagte:

„Die Menschen melden sich zur Armee und verlangen Waffen. Schickt uns Waffen.“

Darauf sagte mir Malenkov: „Wir können keine Waffen schicken. Alle Karabiner haben wir nach Leningrad geschickt. Sie müssen sich selbst bewaffnen.“

So stand die Sache mit der Bewaffnung.

Man kann nicht umhin, in Zusammenhang damit an folgenden Fakt zu erinnern. Kurz vor dem Überfall der Hitlertruppen auf die Sowjetunion schrieb Kirponos (er starb später an der Front) an Stalin, dass die deutschen Armeen bis an den Bug vorgerückt waren, verstärkt alles für den Angriffvorbereiteten und höchstwahrscheinlich in kurzer Zeit zur Offensive übergehen würden. Im Zusammenhang damit schlug Kirponos die Schaffung einer zuverlässigen Verteidigung vor, die Evakuierung von 300000 Menschen aus den Grenzgebieten und die Errichtung mehrerer mächtiger befestigter Räume: die Anlage von Panzerabwehrgräben, den Bau von Schutzbunkern für die Soldaten u.ä.

Auf diesen Vorschlag wurde von Moskau geantwortet, dies sei eine Provokation, man dürfe keinerlei vorbereitende Massnahmen an der Grenze durchführen, man dürfe den Deutschen keinen Vorwand für den Beginn von Kriegshandlungen gegen uns geben. Somit waren unsere Grenzen unzureichend auf die Abwehr des Feindes vorbereitet.

Als die faschistischen Truppen schon auf sowjetisches Gebiet eingedrungen waren und die Kriegshandlungen begonnen hatten, kam aus Moskau der Befehl, nicht auf die Schüsse zu antworten. Weshalb? Deshalb, weil Stalin entgegen den offenkundigen Tatsachen meinte, dass dies noch nicht der Krieg sei, sondern eine Provokation einzelner undisziplinierter Einheiten der deutschen Armee, und wenn wir den Deutschen antworteten, diene das als Grund für den Beginn des Krieges.

Bekannt ist auch die folgende Tatsache. Am Vortag des Überfalls der Hitlerarmee auf das Territorium der Sowjetunion überschritt ein Deutscher unsere Grenze und teilte mit, die deutschen Truppen hätten den Befehl erhalten, am 22. Juni 3 Uhr nachts die Offensive gegen die Sowjetunion zu beginnen. Man teilte das unverzüglich Stalin mit, doch auch dieses Signal wurde nicht zur Kenntnis genommen.

Wie Sie sehen, wurde alles ignoriert: sowohl die Warnung einzelner Militärbefehlshaber als auch die Aussagen von Überläufern aus der feindlichen Armee und sogar die offenen Handlungen des Feindes. Ist das der Scharfblick des Führers von Partei und Land in einem so verantwortungsvollen historischen Augenblick?

Und wohin führte eine solche Sorglosigkeit, ein solches Ignorieren offenkundiger Fakten? Das führte dazu, dass der Feind schon in den ersten Stunden und Tagen in unseren Grenzgebieten eine grosse Zahl an Flugzeugen, Geschützen und anderem Kriegsgerät zerstörte, eine bedeutende Anzahl unserer Militärkader vernichtete, die Truppenführung desorganisierte; somit waren wir nicht imstande, ihm den Weg in die Tiefe des Landes zu versperren.

Sehr schwerwiegende Folgen, insbesondere für die Anfangsperiode des Krieges, hatte der Umstand, dass infolge des Misstrauens Stalins im Verlauf der Jahre 1937 bis 1941 auf der Basis verleumderischer Anklagen viele militärische Kommandeure und Politarbeiter liquidiert worden waren. Im Lauf dieser Jahre wurden mehrere Schichten von Führungskadern Repressalien ausgesetzt, angefangen bei der Kompanie- und Bataillonsebene bis hin zu allen höheren Militärzentren. Dabei wurde der Führungskader, der eine bestimmte Erfahrung bei der Kriegführung in Spanien und im Fernen Osten erworben hatte, nahezu völlig liquidiert.

Die Politik der in breitem Massstab gegenüber Militärkadern verfügten Repressionen hatte auch die schwerwiegende Folge, dass sie die Grundlagen der militärischen Disziplin untergrub, weil im Laufe mehrerer Jahre die Befehlshaber aller Dienstgrade, ja selbst die Soldaten in den Partei- und Komsomolzellen angewiesen wurden, ihre Vorgesetzten als getarnte Feinde zu „entlarven“. Es ist klar, dass dies in der ersten Kriegsperiode einen negativen Einfluss auf die militärische Disziplin hatte.

Schliesslich hatten wir vor dem Kriege ausgezeichnete militärische Kader, die der Partei und der Heimat grenzenlos ergeben waren. Es genügt, zu sagen, dass diejenigen von ihnen, die mit dem Leben davonkamen – ich denke hier an solche Genossen wie Rokossovskij, Gorbatov, Mereckov, Podlas und viele andere -, sich trotz der schweren Qualen, die sie in den Gefängnissen erlitten, von den ersten Kriegstagen an als echte Patrioten erwiesen und heldenhaft zum Ruhme der Heimat kämpften. Trotzdem sind viele solcher Heerführer in Lagern und Gefängnissen umgekommen, und die Armee hat sie nicht wieder gesehen.

All das führte zu der Situation, die zu Kriegsbeginn bestand und die zur grössten Gefahr für das Schicksal unserer Heimat wurde.

Man sollte nicht vergessen, zu erwähnen, dass nach den ersten schweren Misserfolgen und den an den Fronten erlittenen Niederlagen Stalin der Ansicht war, dass das Ende gekommen sei. In einem Gespräch jener Tage sagte er: „Alles, was Lenin geschaffen hat, haben wir unwiederbringlich verloren.“

Danach leitete Stalin über lange Zeit faktisch keine Militäroperationen, er kehrte erst an die Führung zurück, nachdem einige Mitglieder des Politbüros zu ihm gekommen waren und sagten, man müsse unverzüglich diese und jene Massnahmen ergreifen, um die Situation an der Front zu verbessern.

Somit war also die bedrohliche Lage, in der sich unsere Heimat in der ersten Periode des Krieges befand, in hohem Grad das Ergebnis der falschen Methoden der Führung des Landes und der Partei durch Stalin selbst.

Es geht aber nicht nur um den Augenblick des Kriegsbeginns, der unsere Armee ernsthaft desorganisierte und uns schwere Verluste brachte. Nach Beginn des Krieges fügten die Nervosität und Hysterie, die Stalin zeigte, als er sich in den Verlauf der Militäroperationen einmischte, unserer Armee ernste Schäden zu.

Stalin war von einem Verständnis für die reale Situation an den Fronten weit entfernt. Das ist natürlich, weil er während des ganzen Vaterländischen Krieges weder an irgendeinem Frontabschnitt noch in irgendeiner der befreiten Städte gewesen ist, wenn man den Blitzbesuch an der Moshaisker Chaussee bei stabiler Frontlage ausser Acht lässt, über den so viele literarische Werke mit Phantastereien aller Art geschrieben und so viele Bilder gemalt wurden. Gleichzeitig mischte sich Stalin unmittelbar in den Verlauf der Operationen ein und gab Befehle, die häufig die wirkliche Lage an dem jeweiligen Frontabschnitt nicht berücksichtigten und nur zu gewaltigen Menschenverlusten führen mussten.

Ich erlaube mir im Zusammenhang damit, einen charakteristischen Fakt anzuführen, der davon zeugt, wie Stalin die Fronten führte. Auf dem Parteitag ist Marschall Bagramjan zugegen, der seinerzeit Chef der Operationsabteilung des Stabes der Südwest-Front war und der bestätigen kann, was ich Ihnen jetzt sage:

Als im Gebiet Charkow eine für unsere Truppen aussergewöhnlich schwierige Situation entstand, fassten wir den richtigen Beschluss, die Operation zur Einschliessung Charkows einzustellen, weil unter den realen Bedingungen jener Zeit eine weitere Fortsetzung einer solchen Operation für unsere Truppen fatale Folgen gehabt hätte.

Wir trugen das Stalin vor und erklärten, dass die Lage eine Änderung des Aktionsplanes verlange, um es dem Feind nicht zu ermöglichen, eine grosse Gruppierung unserer Armee zu vernichten.

Entgegen dem gesunden Menschenverstand wies Stalin unseren Antrag zurück und erliess den Befehl, die Operation zur Einkreisung Charkows fortzusetzen, obwohl zu jener Zeit über vielen Gruppierungen der Armee bereits die reale Gefahr schwebte, eingekesselt und vernichtet zu werden.

Ich rufe also Vasilevskij an und bitte ihn inständig:

„Aleksandr Michajlovič“, sage ich, „nehmen Sie die Landkarte und zeigen Sie Genossen Stalin, welche Lage entstanden ist. Denn unter diesen Bedingungen kann man doch nicht die anfangs geplante Operation fortsetzen. Zum Nutzen der Sache muss die frühere Entscheidung geändert werden.“

Vasilevskij antwortete mir darauf, dass Stalin dieses Problem schon erörtert habe und dass er, Vasilevskij, nicht mehr mit dieser Angelegenheit zu Stalin gehen würde, denn jener wolle keinerlei Argumente mehr zum Thema dieser Operation hören.

Nach dem Gespräch mit Vasilevskij rief ich Stalin in seiner Villa an. Doch Stalin kam nicht zum Telefon, den Hörer hob Malenkov ab. Ich sagte Malenkov, dass ich von der Front anrufe und persönlich mit Stalin sprechen wolle. Stalin liess durch Malenkov ausrichten, dass ich mit Malenkov sprechen solle. Ich erklärte wiederum, dass ich Stalin persönlich über die schwere Lage informieren wolle, die bei uns an der Front entstanden war. Aber Stalin hielt es nicht für angebracht, den Hörer zu nehmen und betonte nochmals, dass ich über Malenkov mit ihm sprechen solle.

Nachdem Stalin auf diese Weise unsere Bitte „angehört“ hatte, sagte er:

„Alles so lassen, wie es war!“

Was ergab sich daraus? Das Schlimmste, was wir uns nur vorstellen konnten. Den Deutschen gelang es, unsere Armeegruppierungen einzukesseln, was zur Folge hatte, dass wir Hunderttausende unserer Soldaten verloren. So war das militärische „Genie“ Stalin!

Während eines Treffens Stalins mit den Mitgliedern des Politbüros irgendwann nach dem Kriege erinnerte Anastas Ivanovič Mikojan daran, dass Chruščov wohl damals recht gehabt habe, als er wegen der Charkower Operation angerufen hat und meinte, es sei schlecht gewesen, dass er damals nicht unterstützt wurde.

Man hätte sehen sollen, wie wütend Stalin wurde! Wie konnte man eingestehen, dass er, Stalin, damals im Unrecht war! Schliesslich war er ein „Genie“, und ein Genie kann nicht im Unrecht sein! Jeder kann sich irren, aber Stalin meinte, er irre sich nie, er habe immer Recht. Niemals und gegenüber niemandem bekannte er sich zu einem grösseren oder kleineren Fehler, wobei er nicht wenige Fehler sowohl in theoretischen Fragen als auch in seinem praktischen Handeln beging.

Viel Blut kostete uns auch jene Taktik, auf der Stalin, der das Wesen der Führung von Kampfoperationen nicht kannte, bestand, nachdem es gelungen war, den Gegner aufzuhalten und zur Offensive überzugehen.

Die Militärs wissen, dass Stalin bereits seit Ende 1941 forderte, anstelle grosser operativer Manöver zur Umgehung des Gegners an den Flanken, zur Schwenkung in seinen Rücken ständige Frontalangriffe zu führen und ein Dorf nach dem anderen zu erobern. Wir erlitten aus diesem Grund gewaltige Verluste, bis es unserer Generalität, auf deren Schultern das gesamte Gewicht der Kriegführung ruhte, gelungen war, die Situation zu ändern und zur Führung beweglicher Operationen überzugehen, was umgehend zu einer ernsthaften Veränderung an den Fronten zu unseren Gunsten führte.

Umso schändlicher war die Tatsache, dass nach unserem grossen Sieg über den Feind, der uns so teuer kam, Stalin viele Heerführer, die keinen geringen Anteil an diesem Sieg hatten, zu verfolgen begann, um jegliche Möglichkeit auszuschliessen, die an den Fronten errungenen Erfolge irgendjemand anderem als ihm selbst zuzuschreiben.

Im Zusammenhang damit machte sich Stalin äusserst eifrig als grosser Heerführer populär, wobei er mit allen Mitteln die Version ins Bewusstsein der Menschen einflösste, alle vom sowjetischen Volk im Grossen Vaterländischen Krieg errungenen Siege seien das Ergebnis des Mutes, der Kühnheit und Genialität von Stalin und von niemand anderem.

Wahrhaftig, nehmen wir doch unsere historischen und Kriegsfilme. Sie alle haben doch den Zweck, gerade eine solche Version zu propagieren, Stalin als genialen Feldherrn zu rühmen. Erinnern wir uns doch an den Film „Der Fall von Berlin“. Dort agiert Stalin allein: Er erlässt Weisungen in einem Saal, in dem leere Stühle stehen, und wo nur ein einzelner Mensch an ihn herantritt und ihm etwas meldet – das ist Poskrjobyschew.

Und wo ist die Militärführung? Wo das Politbüro? Wo die Regierung? Was tun sie, und womit befassen sie sich? Sie gibt es in dem Film nicht. Stalin handelte für alle, niemanden beachtend und sich mit niemandem beratend. In einem derart falschen Licht wurde alles dem Volk vorgeführt. Warum? Deshalb, um Stalin mit Ruhm zu umgeben, und das im Gegensatz zu den Tatsachen, im Widerspruch zur historischen Wahrheit.

Es erhebt sich die Frage: Und wo sind unsere Militärs, auf deren Schultern die Schwere des Krieges lastete? Sie gibt es im Film nicht, neben Stalin war für sie kein Platz.

Nicht Stalin, sondern die Partei als Ganzes, die sowjetische Regierung, unsere heldenhafte Armee, ihre talentierten Feldherren und tapferen Soldaten, das ganze sowjetische Volk – das ist es, was den Sieg im Grossen Vaterländischen Krieg gewährleistete.

Die Mitglieder des CK, die Minister, unsere Wirtschaftsfunktionäre, die Aktivisten der sowjetischen Kultur, die Leiter der örtlichen Partei- und Sowjetorganisationen, Ingenieure und Techniker – jeder stand auf seinem Platz und gab selbstlos seine Kraft und sein Wissen zur Sicherung des Sieges über den Feind.

Aussergewöhnliches Heldentum zeigte unser Hinterland – die ruhmreiche Arbeiterklasse, unsere Kolchosbauernschaft, die russische Intelligenz, die allesamt unter der Führung der Parteiorganisationen alle ihre Kräfte der Sache der Verteidigung der Heimat widmeten, wobei sie die unerhörten Schwierigkeiten und Entbehrungen der Kriegszeit ertrugen.

Gewaltige Heldentaten vollbrachten während des Krieges unsere sowjetischen Frauen, die das riesige Gewicht der Produktionsarbeit in den Fabriken und Kolchosen, an verschiedenen Abschnitten der Wirtschaft und Kultur auf sich nahmen; unsere mutige Jugend, die an allen Abschnitten der Front und des Hinterlandes ihren unschätzbaren Beitrag zur Verteidigung der sowjetischen Heimat, zur Zerschlagung des Feindes leistete.

Unvergänglich sind die Verdienste der Sowjetsoldaten, unserer Militärbefehlshaber und politischen Funktionäre auf allen Ebenen, die bereits in den ersten Monaten des Krieges, nach dem Verlust eines beträchtlichen Teils der Armee, nicht den Kopf verloren, sondern es verstanden, sich in der Bewegung umzugruppieren, im Laufe des Krieges eine mächtige und heroische Armee zu schaffen und nicht nur den Druck eines starken und hinterhältigen Feindes abzuwehren, sondern ihn auch zu zerschlagen.

Die gewaltige Heldentat des sowjetischen Volkes im Grossen Vaterländischen Krieg rettete Hunderte Millionen Menschen in Ost und West vor der drohenden Gefahr der faschistischen Unterjochung, sie wird Jahrhunderte und Jahrtausende im Gedächtnis einer dankbaren Menschheit weiterleben.

Die Hauptrolle und das Hauptverdienst bei der siegreichen Beendigung des Krieges fallen unserer Kommunistischen Partei, den Streitkräften der Sowjetunion und Dutzenden Millionen von Sowjetmenschen zu, die von der Partei erzogen wurden.

***

Genossen! Beschäftigen wir uns mit einigen anderen Tatsachen. Die Sowjetunion wird zu Recht als Musterbeispiel eines multinationalen Staates angesehen, denn bei uns wurden in der Praxis Gleichheit und Freundschaft aller Völker gewährleistet, die unsere grosse Heimat bewohnen.

Umso ungeheuerlicher sind die Aktionen, deren Initiator Stalin war und die eine brutale Vergewaltigung der grundlegenden Leninistischen Prinzipien der Nationalitätenpolitik des Sowjetstaates waren. Die Rede ist von der Massenumsiedlung ganzer Völker aus ihren heimatlichen Orten, darunter auch aller Kommunisten und Komsomolzen ohne jede Ausnahme, wobei derartige Aussiedlungsaktionen durch keinerlei militärische Beweggründe diktiert waren.

So wurde noch Ende 1943, als an den Fronten des Grossen Vaterländischen Krieges ein dauerhafter Umschwung zugunsten der Sowjetunion eingetreten war, der Beschluss über die Aussiedlung aller Karatschaier aus ihrem angestammten Gebiet gefasst und durchgeführt. Im gleichen Zeitraum, Ende Dezember 1943, traf die gesamte Bevölkerung der Kalmykischen Autonomen Sowjetrepublik das gleiche Schicksal. Im März 1944 wurden Tschetschenen und Inguschen ausgesiedelt, die Tschetschenisch-Inguschische Autonome Republik wurde liquidiert. Im April 1944 wurden alle Balkaren aus der Kabardinisch-Balkarischen Autonomen Republik in entlegene Gebiete ausgesiedelt, die Republik in Autonome Kabardinische Republik umbenannt.

Nicht nur für Marxisten-Leninisten, sondern für jeden vernünftig denkenden Menschen ist es unverständlich, wie man die Verantwortung einzelner Personen oder Gruppen für feindliche Handlungen auf ganze Völker übertragen konnte, Frauen und Kinder, Alte, Kommunisten und Komsomolzen nicht ausgenommen, wie man ihnen gegenüber Massenrepressalien anwenden und sie Entbehrungen und Leiden aussetzen konnte.

Nach Beendigung des Vaterländischen Krieges gedachte das Volk voller Stolz seiner glänzenden Siege, die mit grossen Opfern und unermesslichen Anstrengungen errungen wurden. Das Land durchlebte eine Phase des politischen Enthusiasmus. Die Partei ging aus dem Krieg noch geschlossener hervor, die Parteikader wurden im Feuer des Krieges gestählt. Unter diesen Bedingungen hätte wohl nicht einmal der Gedanke an die Möglichkeit irgendeiner Verschwörung in der Partei bei irgendjemandem aufkommen können.

Und eben zu dieser Zeit kommt plötzlich die so genannte „Leningrader Affäre“ auf. Wie heute inzwischen nachgewiesen, ist dieser Fall fabriziert worden. Unschuldig kamen die Genossen Voznesenskij, Kuznecov, Rodionov, Popkov und andere ums Leben.

Bekanntlich waren Voznesenskij und Kuznecov hervorragende und talentierte Funktionäre. Zu ihrer Zeit standen sie Stalin nahe. Es genügt zu sagen, dass Stalin Voznesenskij auf den Posten des Ersten Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates stellte und dass Kuznecov zum Sekretär des Zentralkomitees gewählt worden war. Allein die Tatsache, dass Stalin Kuznecov die Aufsicht über die Organe der Staatssicherheit übertrug, zeugt von dem Vertrauen, das er genoss.

Wie kam es, dass diese Leute zu Volksfeinden erklärt und liquidiert wurden?

Die Tatsachen beweisen, dass auch die „Leningrader Affäre“ ein Ergebnis der Willkür war, die Stalin gegenüber den Parteikadern ausübte.

Wenn im Zentralkomitee der Partei, im Politbüro des CK eine normale Situation geherrscht hätte, in der derartige Fragen behandelt worden wären, wie es sich in der Partei gehört, und wenn alle Fakten eingehend beurteilt worden wären, hätte es einen solchen Fall ebensowenig wie andere derartige Fälle gegeben.

Man muss feststellen, dass sich die Situation nach dem Krieg noch komplizierter wurde. Stalin wurde noch launenhafter, gereizter, brutaler, insbesondere wuchs sein Argwohn. Der Verfolgungswahn erreichte unwahrscheinliche Ausmasse. Viele Mitarbeiter wurden in seinen Augen zu Feinden. Nach dem Krieg grenzte Stalin sich noch mehr vom Kollektiv ab. Über alles entschied er allein, ohne irgendjemanden oder irgendetwas zu berücksichtigen.

Den unerhörten Argwohn Stalins nutzte geschickt der elende Provokateur, der schäbige Feind Berija aus, der Tausende Kommunisten, ehrliche Sowjetbürger ermorden liess. Die Beförderung Voznesenskijs und Kuznecovs erschreckte Berija. Wie heute festgestellt werden kann, hat eben Berija gemeinsam mit seinen Untergebenen Materialien in Gestalt von Erklärungen und anonymen Briefen, in der Form von verschiedenen Gerüchten und Gesprächen konstruiert und Stalin „untergeschoben“.

Das Zentralkomitee hat die so genannte „Leningrader Affäre“ untersucht, die Personen, die unschuldig gelitten haben, wurden jetzt rehabilitiert, die ruhmreiche Leningrader Parteiorganisation erhielt ihre Ehre zurück. Abakumov und andere, die diesen Fall fabrizierten, wurden vor Gericht gestellt, ihr Prozess fand in Leningrad statt, und sie erhielten, was sie verdienten.

Es stellt sich die Frage: Weshalb konnten wir uns jetzt in dieser Frage orientieren und haben das nicht früher, zu Lebzeiten Stalins getan, um es nicht zum Untergang unschuldiger Menschen kommen zu lassen? Deshalb, weil Stalin selbst die „Leningrader Affäre“ leitete und die Mehrheit der Politbüromitglieder jener Periode nicht alle Umstände der Angelegenheit kannten und sich natürlich in sie nicht einmischen konnten.

Sofort, nachdem Stalin von Berija und Abakumov bestimmte Materialien erhalten hatte, befahl er schon, den „Fall“ Voznesenskij und Kuznecov zu untersuchen, ohne in das Wesen der Fälschungen einzudringen. Damit war ihr Schicksal schon vorherbestimmt.

Lehrreich ist unter diesem Gesichtspunkt auch die Angelegenheit der „Mingrelischen Nationalistischen Organisation“, die angeblich in Georgien bestanden hat. In dieser Frage wurden bekanntlich im November 1951 und im März 1952 Beschlüsse des CK der KPSS gefasst. Diese Beschlüsse wurden ohne Erörterung im Politbüro angenommen. Sie erhoben schwere Anklagen gegen viele ehrliche Kommunisten. Auf der Grundlage gefälschter Materialien wurde behauptet, dass in Georgien angeblich eine nationalistische Organisation bestehe, die sich den Sturz der Sowjetmacht in dieser Republik unter Beihilfe imperialistischer Staaten zum Ziel stelle.

Im Zusammenhang damit wurden eine Reihe verantwortlicher Partei- und Sowjetfunktionäre in Georgien verhaftet. Wie später festgestellt, war das eine Verleumdung gegenüber der Parteiorganisation Georgiens.

Wir wissen, dass es in Georgien wie in einigen anderen Republiken seinerzeit Erscheinungen von lokalem bürgerlichem Nationalismus gegeben hat. Es erhebt sich die Frage: Vielleicht nahmen in diesem Zeitabschnitt, in dem die erwähnten Beschlüsse gefasst wurden, nationalistische Tendenzen tatsächlich solche Ausmasse an, dass die Gefahr des Austritts Georgiens aus der Sowjetunion und des Übergangs in den Bestand des türkischen Staates bestand?

Das ist selbstverständlich Unsinn. Man kann sich schwer vorstellen, wie solche Vermutungen jemandem in den Sinn kommen konnten. Allen ist bekannt, wie sich Georgien in den Jahren der Sowjetmacht wirtschaftlich und kulturell entwickelt hat.

Die Industrieproduktion der Georgischen Republik übertrifft die Produktion des vorrevolutionären Georgiens um das 27fache. In der Republik entstanden viele neue Industriezweige, die es dort vor der Revolution nicht gab: Metallurgie, Erdölindustrie, Maschinenbau und andere. Vor langem schon wurde das Analphabetentum beseitigt, das im vorrevolutionären Georgien 78 Prozent der Bevölkerung betraf.

Können die Georgier, wenn sie die Situation in ihrer Republik mit der schweren Lage der arbeitenden Massen in der Türkei vergleichen, die Angliederung an die Türkei anstreben? Im Jahre 1955 war die Stahlproduktion pro Kopf der Bevölkerung in der Türkei 18mal geringer als in Georgien. Georgien erzeugt 9mal mehr Elektroenergie pro Kopf als die Türkei. Nach der Volkszählung von 1950 waren in der Türkei 65 Prozent der Bevölkerung Analphabeten, von den Frauen um 80 Prozent. In Georgien bestehen 19 Hochschulen, die etwa 39000 Studenten zählen, das heisst achtmal mehr als in der Türkei, deren Bevölkerungszahl die Bevölkerungszahl Georgiens um das 6fache übersteigt. In den Jahren der Sowjetmacht ist in Georgien der Wohlstand der Werktätigen unermesslich gewachsen.

Klar ist, dass im Masse der Entwicklung von Wirtschaft und Kultur, im Masse des Wachstums des sozialistischen Bewusstseins der arbeitenden Massen in Georgien der Boden, aus dem der bürgerliche Nationalismus Nahrung erhält, immer mehr schwindet.

Wie sich in Wirklichkeit herausstellte, gab es in Georgien keinerlei nationalistische Organisation. Tausende unschuldige sowjetische Menschen fielen der Willkür und Gesetzlosigkeit zum Opfer. Und all das vollzog sich unter der „genialen“ Führung Stalins – „des grossen Sohnes des georgischen Volkes“, wie die Georgier ihren Landsmann zu nennen beliebten.

Die Willkür Stalins trat nicht nur bei der Entscheidung über innenpolitische Fragen des Landes zutage, sondern auch im Bereich der internationalen Beziehungen der Sowjetunion.

Auf dem Juli-Plenum des CK wurden die Ursachen der Entstehung des Konflikts mit Jugoslawien detailliert erörtert. Dabei wurde die unwürdige Rolle Stalins unterstrichen. Denn die „jugoslawische Frage“ wurde von Stalin erfunden und aufgebauscht. Es gab keine ernsthaften Grundlagen für das Entstehen dieser „Frage“, es wäre ganz und gar möglich gewesen, es nicht zum Bruch mit diesem Land kommen zu lassen. Das heisst jedoch nicht, dass die jugoslawischen Führer keine Fehler begangen oder keine Mängel gehabt hätten. Aber diese Fehler und Mängel wurden von Stalin ungeheuerlich übertrieben, was zum Bruch der Beziehungen mit einem befreundeten Land führte.

Ich erinnere mich der ersten Tage, als begonnen wurde, den Konflikt zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien künstlich anzufachen.

Als ich einmal von Kiev nach Moskau kam, lud mich Stalin zu sich und fragte unter Hinweis auf die Kopie eines Briefes, der unlängst an Tito geschickt worden war:

„Hast Du gelesen?“

Und ohne die Antwort abzuwarten, sagte er:

„Ich schnippe mit dem kleinen Finger – und Tito wird es nicht mehr geben. Er verschwindet…“

Teuer ist uns dieses „Schnippen mit dem kleinen Finger“ gekommen. Diese Äusserung widerspiegelte den Grössenwahn Stalins, denn gerade so ging er vor: „Ich schnippe mit dem kleinen Finger – und Kosior ist nicht mehr“; „Ich schnippe noch einmal – und Postyschew gibt es nicht mehr, Tschubarjan auch nicht“; „Ich schnippe erneut – und Voznesenskij, Kuznecov und viele andere verschwinden“.

Doch mit Tito geschah das nicht. Wie oft Stalin auch mit dem kleinen Finger schnippte und noch dazu alles ihm Mögliche in Bewegung setzte, Tito wich nicht. Weshalb? Deshalb, weil es im Streit mit jugoslawischen Genossen keine Fragen gab, die man nicht auf Wege einer Diskussion unter Parteigenossen hätte lösen können, weil Tito in diesem Streit den Staat und das Volk hinter sich hatte, das eine harte Schule des Kampfes um seine Freiheit und Unabhängigkeit durchlaufen hatte – ein Volk, das seine Führer unterstützte.

Das ist es, wohin Stalins Grössenwahn geführt hat. Er hat jedes Realitätsgefühl verloren, verhielt sich voll Argwohn und Hochmut nicht nur gegenüber einzelnen Personen in der UdSSR, sondern auch im Verhältnis zu ganzen Parteien und Ländern.

Jetzt haben wir die Frage Jugoslawien eingehend geprüft und eine richtige Lösung gefunden, die die Völker der Sowjetunion und Jugoslawiens wie auch die werktätigen Massen aller volksdemokratischen Länder, die ganze fortschrittliche Menschheit billigen. Die Beseitigung der unnormalen Beziehungen zu Jugoslawien wurde im Interesse des gesamten sozialistischen Lagers, im Interesse der Stärkung des Weltfriedens vorgenommen.

Man muss auch an den „Fall der Ärzte“ erinnern. Im Grunde gab es gar keinen „Fall“, abgesehen von der Erklärung der Ärztin Timaschuk, die vielleicht unter irgendwelchem Einfluss oder auf irgendjemandes Weisung (sie war schliesslich inoffizielle Mitarbeiterin der Organe der Staatssicherheit) an Stalin einen Brief schrieb, in dem sie erklärte, die Ärzte würden angeblich falsche Therapien anwenden.

Es reichte ein solcher Brief, damit Stalin sofort den Schluss zog, dass es in der Sowjetunion eine Verschwörung von Ärzten gibt, und er erteilte die Weisung, eine Gruppehervorragender Spezialisten der sowjetischen Medizin zu verhaften. Persönlich gab er Anweisungen, wie die Untersuchung zu führen sei, wie man die Verhafteten zu verhören habe. Er sagte: den Akademiker Vinogradov in Ketten legen und diesen da schlagen. Anwesend ist hier als Parteitagsdelegierter der frühere Minister für Staatssicherheit, Gen. Ignat’ev. Stalin sagte ihm geradeheraus:

„Wenn Sie kein Geständnis der Ärzte erreichen, machen wir Sie um einen Kopf kürzer.“

Stalin persönlich berief den Untersuchungsrichter, erteilte ihm Instruktionen, ordnete die Untersuchungsmethoden an, und diese Methoden bestanden in dem einen: schlagen, schlagen und noch einmal schlagen.

Einige Zeit nach der Verhaftung der Ärzte erhielten wir, die Mitglieder des Politbüros, die Protokolle mit dem Schuldbekenntnis der Ärzte. Nachdem er die Protokolle übermittelt hatte, sagte Stalin uns:

„Blind seid ihr wie junge Katzen, was wird nur ohne mich – das Land wird untergehen, wenn ihr es nicht versteht, die Feinde auszumachen.“

Der Fall war auf eine Weise angelegt, dass niemand die Möglichkeit besass, die Fakten zu prüfen, auf deren Grundlage die Untersuchung geführt wurde. Es war nicht möglich, die Tatsachen durch Kontaktaufnahme mit denjenigen nachzuprüfen, die diese Geständnisse abgelegt hatten.

Wir spürten aber, dass der Fall der Verhaftung der Ärzte unsauber war. Viele dieser Menschen kannten wir gut, sie behandelten uns. Und als wir nach dem Tode Stalins untersuchten, wie dieser „Fall“ entstanden war, erkannten wir, dass er von Anfang bis Ende konstruiert worden ist.

Dieser schändliche „Fall“ ist von Stalin konstruiert worden, doch ihm gelang es nicht, sie zu Ende zu führen, und deshalb blieben die Ärzte am Leben. Jetzt wurden alle rehabilitiert, sie arbeiten auf denselben Stellen wie früher, behandeln führende Funktionäre, Mitglieder der Regierung eingeschlossen. Wir schenken ihnen volles Vertrauen, und sie erfüllen ihre Pflichten so redlich wie früher.

Beim Organisieren verschiedener schmutziger und schmachvoller Fälle spielte der Erzfeind unserer Partei, der Agent eines fremden Geheimdienstes Berija, der sich das Vertrauen Stalins erschlichen hatte, eine nichtswürdige Rolle. Auf welche Weise konnte dieser Provokateur eine solche Stellung in Partei und Staat erlangen, dass er Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion und Mitglied des Politbüros des CK geworden ist? Heute ist festzustellen, dass dieser Schuft auf der Staatsleiter über unzählige Leichen aufgestiegen ist.

Gab es Anzeichen dafür, dass Berija ein Parteifeind war? Ja, es gab sie. Schon auf dem CK-Plenum im Jahre 1937 sagte der ehemalige Volkskommissar für Gesundheitswesen, Kaminskij, dass Berija im Mussawat-Geheimdienst gearbeitet hat. Das Plenum war kaum beendet, da wurde Kaminskij schon verhaftet und danach erschossen. Hat Stalin die Erklärung Kaminskis geprüft? Nein, denn Stalin glaubte Berija, und das genügte ihm. Und wenn Stalin glaubte, so konnte niemand irgendetwas sagen, was im Widerspruch zu dieser seiner Meinung gestanden hätte; denjenigen, dem es einfiel, Widerspruch zu äussern, hätte das gleiche Schicksal wie Kaminskij getroffen.

Es gab auch andere Anzeichen. Interessant ist die Erklärung des Gen. Snegov, die dieser im Zentralkomitee abgegeben hat (beiläufig gesagt, ist er ebenfalls vor kurzem nach 17 Jahren Lagerhaft rehabilitiert worden). In der Erklärung schreibt Snegov:

„Im Zusammenhang mit der Vorlage der Frage der Rehabilitierung des ehemaligen CK-Mitglieds Kartvelishvili-Lavrentev habe ich zu Händen des Vertreters des Komitees für Staatssicherheit detaillierte Aussagen über die Rolle Berijas bei der Abrechnung mit Kartvelišvili und über die verbrecherischen Motive gemacht, von denen sich Berija leiten liess.

Ich sehe es als unerlässlich an, eine wichtige Tatsache in diesem Fall anzuführen und das CK davon zu informieren, weil ich es für nicht angebracht gehalten hatte, sie in den Untersuchungsdokumenten unterzubringen.

Am 30. Oktober 1931 gab der Sekretär des Transkaukasischen Kreiskomitees, Kartvelišvili, auf der Sitzung des Organisationsbüros des CK der VKP(b) einen Bericht. Anwesend waren alle Mitglieder des Büros des Kreiskomitees, von denen nur noch ich allein am Leben bin. Auf dieser Sitzung stellte Stalin am Ende seiner Rede den Antrag, das Sekretariat des Kreiskomitees in folgender Zusammensetzung zu bilden: erster Sekretär – Kartvelišvili, zweiter – Berija (damals wurde zum erstenmal in der Geschichte unserer Partei der Name Berijas als Kandidat für eine Parteifunktion erwähnt). Kartvelišvili antwortete umgehend, dass er Berija gut kenne und deshalb eine Zusammenarbeit mit ihm kategorisch ablehne. Daraufhin schlug Stalin vor, die Frage offen zulassen und sie im Arbeitsablauf zu entscheiden. Zwei Tage später fiel die Entscheidung über die Beförderung Berijas auf den Parteiposten und über den Abgang von Kartvelišvili aus Transkaukasien.

Bestätigen können das die Genossen Mikojan und Kaganovič, die auf dieser Sitzung zugegen waren.

Die langjährigen feindlichen Beziehungen zwischen Kartvelišvili und Berija waren weitbekannt: Sie datieren von dem Einsatz des Gen. Sergo in Transkaukasien, weil Kartvelišvili der nächste Mitarbeiter von Gen. Sergo war. Und eben das veranlasste Berija, den „Fall“ gegen Kartvelišvili zu konstruieren.

Es ist charakteristisch, dass in diesem „Fall“ Kartwelischwili wegen eines terroristischen Aktes gegen Berija angeklagt wurde.“

Im Anklageakt gegen Berija wurden seine Verbrechen detailliert behandelt. Gewisse Dinge sind es aber wert, dass man an sie erinnert, umso mehr, als – vielleicht – nicht alle Parteitagsdelegierte dieses Dokument gelesen haben. Ich möchte hier an die bestialische Abrechnung Berijas mit Kedrov, Golubev und der Pflegemutter Golubevs, Baturina, erinnern, die versucht hatten, das CK über die verräterische Tätigkeit Berijas zu informieren. Sie wurden ohne Gerichtsverhandlung erschossen, und das Urteil wurde im Nachhinein ausgefertigt. Folgendes schrieb der Altkommunist Gen. Kedrov an das Zentralkomitee zu Händen von Gen. Andreev:

„Aus der dunklen Zelle des Gefängnisses Lefortovo rufe ich Sie um Hilfe an. Hören Sie den Entsetzensschrei, bleiben Sie nicht taub, treten Sie für mich ein, helfen Sie, den Alptraum der Verhöre zu beenden, den Fehler aufzudecken!

Ich leide unschuldig. Glauben Sie es. Die Zeit wird die Wahrheit beweisen. Ich bin kein ‚Agent provocateur‘ der zaristischen Ochrana, bin kein Spion, kein Mitglied einer antisowjetischen Organisation, weswegen ich, gestützt auf verleumderische Berichte, angeklagt bin. Ich habe auch keine anderen Verbrechen gegen die Partei und die Heimat begangen. Ich bin ein alter Bolschewik, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, der (fast) vierzig Jahre ehrlich den Reihen der Partei für das Wohl und Glück des Volkes gekämpft hat…

…Heute drohen mir, einem 62jährigen alten Mann, die Untersuchungsrichter mit noch grausameren und erniedrigenderen Mitteln physischer Einwirkung. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich ihres Fehlers bewusst zu werden und anzuerkennen, dass ihr Vorgehen mir gegenüber gesetzwidrig und unzulässig ist. Sie versuchen diese Mittel zu rechtfertigen, indem sie mich als grimmigen und hartnäckigen Feind hinstellen und eine Verstärkung der Repressalien verlangen. Doch die Partei soll wissen, dass ich unschuldig bin und dass es mit keinerlei Mitteln gelingen wird, einen treuen Sohn der Partei, der ihr bis zum letzten Atemzug ergeben ist, in einen Feind zu verwandeln.

Mir bleibt allerdings kein Ausweg. Ich habe keine Kraft, die drohenden neuen schweren Schläge von mir abzuwenden.

Alles hat jedoch Grenzen. Ich bin bis zum Äussersten gemartert worden“, schreibt weiter Gen. Kedrov. „Meine Gesundheit ist zerrüttet, meine Kraft und Energie sind erschöpft, das Ende naht. In einem sowjetischen Gefängnis mit dem Brandmal eines elenden Vaterlandsverräters zu sterben – was kann schrecklicher sein für einen ehrlichen Menschen. Wie ungeheuerlich ist das! Grenzenlose Enttäuschung und Schmerz ergreifen das Herz. Nein, nein! Das wird nicht geschehen, das darf nicht geschehen – schreie ich. Sowohl die Partei als auch die Sowjetregierung und der Volkskommissar Berija werden nicht zulassen, dass es zu einer so grausamen, irreversiblen Ungerechtigkeit kommt.

Ich bin überzeugt, dass es bei einer ruhigen, unvoreingenommenen Erörterung, ohne schändliche Beschimpfungen, ohne Zorn, ohne schreckliche Misshandlungen leicht sein wird, die Gegenstandslosigkeit der Anklagen festzustellen. Ich glaube fest, dass die Wahrheit und Gerechtigkeit triumphieren werden. Ich glaube, glaube“, schrieb am Schluss seines Briefes Gen. Kedrov.

Der Altbolschewik Gen. Kedrov wurde vom Militärkollegium für unschuldig erklärt. Trotzdem wurde er auf Befehl Berijas erschossen.

Berija rechnete ebenfalls grausam mit der Familie des Gen. Ordschonikidse ab. Weshalb? Deshalb, weil Ordschonikidse Berija bei der Verwirklichung seiner üblen Pläne behinderte. Berija bahnte sich den Weg, in dem er sich aller Menschen entledigte, die ihm hätten schaden können. Ordschonikidse war stets ein Gegner Berijas, worüber er mit Stalin sprach. Anstatt die Angelegenheit zu überprüfen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen, liess es Stalin zur Liquidierung des Bruders von Ordschonikidse kommen, und Ordschonikidse selbst trieb er in einen solchen Zustand, dass er gezwungen war, sich zu erschiessen. So also war Berija.

Berija wurde vom Zentralkomitee kurz nach dem Tode Stalins entlarvt. Im Ergebnis eines eingehenden Gerichtsverfahrens wurden Berijas ungeheuerliche Verbrechen festgestellt, und Berija wurde erschossen.

Die Frage erhebt sich, weshalb Berija, der Zehntausende Partei- und Sowjetfunktionäre liquidierte, nicht zu Lebzeiten Stalins entlarvt wurde. Er wurde nicht früher entlarvt, weil er geschickt die schwachen Seiten Stalins ausnutzte, in ihm den Argwohn nährte, in allem Stalin zustimmte und mit seiner Unterstützung agierte.

***

Genossen!

Der Personenkult nahm hauptsächlich deshalb so ungeheuerliche Ausmasse an, weil Stalin selbst mit allen Mitteln die Glorifizierung seiner Person betrieb und unterstützte. Davon zeugen viele Tatsachen. Eines der kennzeichnendsten Beispiele für die Selbstbeweihräucherung und den Mangel elementarer Bescheidenheit Stalins ist die Herausgabe seiner „Kurzen Lebensbeschreibung“, die 1948 erschien.

Dieses Buch ist Ausdruck der zügellosesten Lobhudelei, ein Muster dafür, wie man aus einem Menschen einen Gott macht und ihn in einen unfehlbaren Weisen verwandelt, den „grössten Führer“, „unübertrefflichen Strategen aller Zeiten und Völker“.

Es besteht kein Grund, hier die widerlichen Lobhudeleien zu zitieren, von denen es in diesem Buch wimmelt. Es gilt nur zu unterstreichen, dass sie alle von Stalin persönlich gebilligt und redigiert wurden und einige davon eigenhändig von ihm in die Korrektur des Buches hineingeschrieben worden sind.

Was betrachtete Stalin als unerlässliche Ergänzungen zu diesem Buch? Vielleicht wollte er den Eifer der Schmeichler abkühlen, die seine „Kurze Lebensbeschreibung“ verfasst hatten? Nein. Er baute die Stellen aus, von denen er meinte, dass das Lob für seine Verdienste unzureichend sei.

Hier einige Abschnitte, die Stalins Tätigkeit charakterisieren und die von Stalin eigenhändig hinzugefügt wurden:

„In diesem Kampf gegen die Kleingläubigen und Kapitulanten, die Trotzkisten und Sinowjewleute, die Bucharins und Kamenevs, formte sich, nachdem Lenin aus den Kampfreihen geschieden war, endgültig jener leitende Kern unserer Partei…, der das grosse Banner Lenins hochhielt, die Partei um das Vermächtnis Lenins zusammenschloss und das Sowjetvolk auf den breiten Weg der Industrialisierung des Landes und der Kollektivierung der Landwirtschaft geführt hat. Der Leiter dieses Kerntrupps und die führende Kraft der Partei und des Staates war Genosse Stalin.“

Und das schreibt Stalin selbst! Und er fügt hinzu:

„Stalin, der in meisterhafter Weise den Aufgaben eines Führers der Partei und des Volkes gerecht wird und die volle Unterstützung des ganzen Sowjetvolkes geniesst, hat in seiner Tätigkeit niemals auch nur einen Schatten von Eigendünkel, Überheblichkeit, Selbstlob an den Tag gelegt.“

Wo überhaupt und wann hat sich ein Funktionär derart selbst rühmen können? Schickt sich das für einen Funktionär marxistisch-leninistischen Typs? Nein. Eben gerade dagegen sind Marx und Engels so entschieden aufgetreten. Eben das hat Lenin immer so scharf verurteilt.

Im Korrekturexemplar des Buches stand folgender Satz: „Stalin – das ist der Lenin von heute.“ Dieser Satz erschien Stalin offenbar unzureichend, und so hat er ihn eigenhändig wie folgt umgearbeitet: „Stalin ist der würdige Fortsetzer des Werkes Lenins oder wie man in unserer Partei zu sagen pflegt: Stalin – das ist der Lenin von heute.“

Man kann eine Menge ähnlicher Fälle von Eigenlob anführen, die von Stalins Hand in die Korrektur des Buches eingefügt wurden. Besonders freigebig warf er mit Lobpreisungen seiner selbst wegen seiner militärischen Genialität und seiner strategischen Talente um sich.

Ich gestatte mir, noch eine von Stalin geschriebene Einfügung zum Thema der Stalinistischen militärischen Genialität anzuführen.

„Genosse Stalin hat auch die fortgeschrittene sowjetische Kriegswissenschaft weiterentwickelt“, schreibt er. „Genosse Stalin hat die Lehre von den ständig wirkenden Faktoren ausgearbeitet, die für das Schicksal des Krieges entscheidend sind, ferner die Lehre von der aktiven Verteidigung und den Gesetzen der Gegenoffensive und der Offensive, von dem Zusammenwirken der verschiedenen Waffengattungen und der technischen Kampfmittel unter den Bedingungen des modernen Krieges, von der Rolle grosser Panzer- und Flugzeugmassen im modernen Krieg, die Lehre von der Artillerie als der mächtigsten Waffengattung. In den verschiedensten Stadien des Krieges fand das Genie Stalins die richtigen Lösungen, die allen Besonderheiten der entstandenen Lage Rechnung trugen.“

Und weiter schreibt Stalin:

„Die Stalinistische Kriegskunst trat sowohl bei der Verteidigung als auch beim Angriff in Erscheinung. Mit genialem Scharfblick durchschaute Genosse Stalin die Pläne des Feindes und durchkreuzte sie. Die Schlachten, in denen Genosse Stalin die Leitung der Sowjettruppen innehatte, sind hervorragende Musterbeispiele operativer Kriegskunst.“

Auf diese Art wurde Stalin als Stratege gerühmt. Wer tat das? Stalin selbst, nur, dass er nicht in der Rolle des Strategen, sondern in der eines Autors bzw. Redakteurs auftrat, eines der Hauptschöpfer seines von Eigenlob geprägten Lebenslaufes.

So sind die Tatsachen, Genossen. Man muss geradeheraus sagen – die schmachvollen Tatsachen.

Und noch ein Fakt aus ebendieser „Kurzen Lebensbeschreibung“ Stalins. Bekanntlich arbeitete an der Herausgabe des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der VKP(b)“ eine Kommission des Zentralkomitees der Partei. Dieses – offen gesagt – ebenfalls vom Personenkult durchtränkte Buch ist von einem Autorenkollektiv ausgearbeitet worden. Das fand seine Widerspiegelung in der folgenden, im Umbruchexemplar der „Kurzen Lebensbeschreibung“ Stalins enthaltenen Formulierung:

„Eine Kommission des Zentralkomitees der VKP(b) unter Leitung des Genossen Stalin und seiner aktivsten persönlichen Teilnahme schuf den „Kurzen Lehrgang der Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki)“.“

Diese Formulierung jedoch konnte Stalin nicht zufrieden stellen: in der „Kurzen Lebensbeschreibung“ wurde sie durch folgenden Satz ersetzt:

„1938 erschien das Buch „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang“, das von Genossen Stalin verfasst und von einer Kommission des Zentralkomitees der VKP(b) bestätigt wurde.“

Wie Sie sehen, trat hier eine erstaunliche Metamorphose einer von einer Gruppe geschaffenen Arbeit in ein von Stalin geschriebenes Buch ein. Nicht nötig zu sagen, auf welche Weise und warum die Metamorphose vorgenommen wurde.

Es erhebt sich die begründete Frage: Wenn Stalin der Autor dieses Buches ist, weshalb brauchte er ein solches Lobpreisen der Person Stalins, und weshalb wurde aus der gesamten nachrevolutionären Periode der Geschichte unserer ruhmvollen Kommunistischen Partei nichts weiter als der Hintergrund für das Handeln des „Stalinistischen Genius“ gemacht?

Haben in dem Buch die Anstrengungen der Partei auf dem Gebiet der sozialistischen Umgestaltung des Landes, des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft, der Industrialisierung und Kollektivierung des Landes sowie andere von der Partei unternommene Schritte ihre Widerspiegelung erfahren, das Vorgehen der Partei auf dem von Lenin abgesteckten Weg? Dieses Buch spricht vorwiegend über Stalin, über seine Reden. Alles ohne die geringste Ausnahme ist mit seinem Namen verbunden.

Und wenn Stalin selbst erklärt, eben er habe den „Kurzen Lehrgang der Geschichte der VKP(b)“ geschrieben, so muss das zumindest Verwunderung auslösen. Kann denn ein Marxist-Leninist so über sich schreiben, dass er die eigene Person in den Himmel hebt?

Oder nehmen wir den Stalinpreis. Sogar die Zaren haben keine Preise gestiftet, die sie mit eigenem Namen bezeichnet hätten.

Stalin selbst erachtete jenen Text der Staatshymne der UdSSR für den besten, in dem kein einziges Wort über die Kommunistische Partei vorkommt, dafür aber die folgende beispiellose Lobpreisung Stalins:

„Stalin erzog uns zur Treue am Volk,

begeisterte uns für die Arbeit und grosse Taten.“

In diesen Versen der Hymne ist die gesamte erzieherische, führende und inspirierende Tätigkeit der grossen Leninistischen Partei Stalin zugeschrieben worden. Das ist natürlich ein offenes Abgehen vom Marxismus-Leninismus, eine offene Herabsetzung und Schmälerung der Rolle der Partei.

Und wurde Stalins Name vielen Grossbetrieben und Städten ohne sein Wissen gegeben, oder wurden ohne sein Wissen im ganzen Land Stalin-Denkmäler errichtet – diese „Denkmäler zu Lebzeiten“? Schliesslich ist es Tatsache, dass Stalin selbst am 2. Juli 1951 den Beschluss des Ministerrates der UdSSR zur Frage des Baus eines monumentalen Stalin-Denkmals am Wolga-Don-Kanal unterzeichnete, und am 4. September desselben Jahres erliess er die Verfügung, 33 Tonnen Kupfer für den Bau dieses Monuments bereitzustellen. Urteilen Sie selbst, ob Stalin in seinem Lebenslauf zu Recht geschrieben hat, er habe „niemals auch nur einen Schatten von Eigendünkel, Überheblichkeit, Selbstlob an den Tag gelegt“.

Gleichzeitig liess Stalin es an Achtung gegenüber dem Andenken Lenins mangeln. Es ist sicher kein Zufall, dass der Sowjetpalast, dessen Bau als ein Denkmal für Lenin vor gut dreissig Jahren beschlossen wurde, nicht gebaut worden ist, dass seine Errichtung ständig verschoben, dem Vergessen anheim gegeben wurde. Man muss das korrigieren und ein solches Denkmal für Lenin errichten.

Man kann auch nicht an dem am 14. August 1925 gefassten Beschluss der Sowjetregierung „Über die Stiftung von Leninpreisen für wissenschaftliche Arbeiten“ vorübergehen. Dieser Beschluss wurde in der Presse veröffentlicht, doch bisher gibt es keine Leninpreise. Diese Angelegenheit muss man ebenfalls korrigieren.

Zu Lebzeiten Stalins wurden dank der bekannten Methoden, von denen ich im Zusammenhang mit einigen Fakten aus der Entstehungsgeschichte der „Kurzen Lebensbeschreibung“ Stalins sprach, alle Ereignisse so beleuchtet, als ob Lenin sogar während der Sozialistischen Oktoberrevolution eine zweitrangige Rolle gespielt habe. In vielen Filmen, in vielen literarischen Werken wurde die Gestalt Lenins unrichtig beleuchtet, in unzulässiger Weise herabgesetzt.

All das ist gründlich zu revidieren, damit die Rolle W.I. Lenins, die grossen Taten unserer Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes, eines schöpferischen Volkes, in Geschichte, Literatur und Kunstwerken die richtige Widerspiegelung finden.

***

Genossen! Der Personenkult trug dazu bei, im Parteiaufbau und in der wirtschaftlichen Tätigkeit fehlerhafte Methoden zu verbreiten, er bewirkte die brutale Verletzung der innerparteilichen und Sowjetdemokratie, nacktes Administrieren, verschiedenartige Verzerrungen, das Vertuschen von Fehlern, die Lackierung der Wirklichkeit. Es wimmelte bei uns von Speichelleckern, Lobhudlern und Betrügern.

Man darf auch nicht daran vorbeisehen, dass infolge der zahlreichen Verhaftungen von Partei- Sowjet- und Wirtschaftsfunktionären viele unserer Mitarbeiter ängstlich zu arbeiten begannen, übermässige Vorsicht an den Tag legten, sich vor allem Neuen, ja vor dem eigenen Schatten fürchteten, dass sie weniger Initiative in der Arbeit zu zeigen begannen.

Und nehmen wir die Beschlüsse der Partei- und Sowjetorgane. Man begann sie nach einer Schablone anzufertigen, häufig ohne Berücksichtigung der konkreten Situation. Es kam dazu, dass Partei- und andere Funktionäre auf den kleinsten Sitzungen und Beratungen in allen Fragen ihre Reden abzulesen begannen. All das beschwor die Gefahr der Bürokratisierung der Partei, des Sowjetsystems und des Staatapparates herauf.

Stalins Lebensfremdheit, seine Unkenntnis der wirklichen Lage an der Basis kann am Beispiel der Leitung der Landwirtschaft gut aufgezeigt werden.

Alle, die sich auch nur etwas für die Lage im Lande interessierten, sahen die schwierige Situation in der Landwirtschaft, doch Stalin nahm diese nicht wahr. Haben wir darüber zu Stalin gesprochen? Ja, wir haben, doch er unterstützte uns nicht. Warum geschah das? Deshalb, weil Stalin nie ins Land reiste, sich nicht mit Arbeitern und Kolchosbauern traf und die tatsächliche Lage vor Ort nicht kannte. Das Land und die Landwirtschaft kannte er nur aus Filmen. Und die Filme beschönigten, lackierten den Zustand in der Landwirtschaft. In vielen Filmen wurde das Kolchosleben so dargestellt, dass die Tische sich unter den Truthähnen und Gänsen bogen. Offensichtlich meinte Stalin, dass es so in Wirklichkeit sei.

Wladimir Iljitsch (Lenin) Lenin sah anders auf das Leben; er war stets eng mit dem Volk verbunden; er empfing Bauerndelegierte bei sich, häufig sprach er auf Versammlungen in Fabriken, er fuhr

aufs Dorf, sprach mit den Bauern.

Stalin grenzte sich vom Volk ab, niemals fuhr er irgendwohin. Und das ging so über Dutzende von Jahren. Das letzte Mal fuhr er im Januar 1928 aufs Land, und zwar nach Sibirien wegen der Getreidelieferungen. Woher konnte er denn die Lage auf dem Dorf kennen?

Und als während eines Gesprächs Stalin gesagt wurde, dass die Lage in der Landwirtschaft schwer sei, dass es besonders schlecht um die Erzeugung von Fleisch und anderen tierischen Produkten stehe, wurde eine Kommission eingesetzt, die beauftragt wurde, einen Beschlussentwurf „Über Massnahmen zur weiteren Entwicklung der Viehzucht in den Kolchosen und Sovchosen“. vorzubereiten. Wir haben einen solchen Entwurf erarbeitet.

Selbstverständlich umfassten unsere damaligen Vorschläge nicht alle Möglichkeiten, doch es wurden Wege zur Erhöhung der Viehzucht in den Kollektivwirtschaften und Staatsgütern aufgezeigt. Damals wurde vorgeschlagen, die Aufkaufpreise für tierische Erzeugnisse zu erhöhen, um das materielle Interesse der Kolchosbauer, der Mitarbeiter der Maschinen-Traktoren-Stationen und der Sovchosen an der Entwicklung der Viehzucht zu erweitern. Aber das von uns ausgearbeitete Projekt wurde nicht angenommen, und im Februar 1953 wurde es beiseitegelegt.

Mehr noch, bei der Erörterung dieses Entwurfs schlug Stalin vor, die von den Kolchosen und Kolchosbauern gezahlte Steuer um weitere 40 Milliarden Rubel zu erhöhen, weil es den Bauern nach seiner Ansicht gut ginge und ein Kolchosbauer, der nur ein Huhn verkaufe, völlig die Staatssteuer aufbringen könne.

Überlegen Sie nur, was das bedeutet hätte. Denn 40 Milliarden Rubel sind eine Summe, die die Bauern nicht einmal für die Gesamtmenge der dem Staat gelieferten Produkte erhielten. Im Jahre 1952 erhielten zum Beispiel die Kolchose und Kolchosbauern für die gesamte an den Staat gelieferte und verkaufte Produktion 26 Milliarden 200 Millionen Rubel.

Stützte sich ein solcher Vorschlag Stalins auf irgendwelche Angaben? Natürlich nicht. In solchen Fällen interessierten ihn Fakten und Zahlen nicht. Wenn Stalin etwas sagte, bedeutete das, dass es so war – denn schliesslich war er ein „Genie“, und ein Genie muss nicht rechnen, es reichte, wenn es die Sache betrachtete und bestimmte, wie es zu sein habe. Er äusserte seine Ansicht, und danach mussten alle sie wiederholen und von seiner Weisheit begeistert sein.

Doch was war weise an dem Vorschlag der Steuererhöhung um 40 Milliarden Rubel? Nichts, überhaupt nichts, weil sich dieser Vorschlag nicht auf die reale Bewertung der Wirklichkeit stützte, sondern auf die Hirngespinste eines vom Leben abgeschnittenen Menschen.

Heute beginnen wir in der Landwirtschaft, uns etwas aus der schwierigen Situation herauszuwinden. Die Reden der Delegierten auf dem XX. Parteitag erfreuen jeden von uns; wir freuen uns, wenn viele Delegierte sagen, dass alle Voraussetzungen bestehen, um die Aufgaben des 6. Fünfjahrplans im Bereich der wichtigsten tierischen Erzeugnisse nicht in fünf, sondern im Verlauf von zwei bis drei Jahren zu erfüllen. Wir sind überzeugt, dass die Aufgaben des neuen Fünfjahrplans erfolgreich erfüllt werden.

***

Genossen!

Wenn wir heute scharf gegen den Personenkult auftreten, der sich zu Stalins Lebzeiten umfassend verbreitet hatte, und wenn wir über viele negative Erscheinungen sprechen, die aus diesem, dem Geist des Marxismus-Leninismus fremden Kult resultieren, kann bei einzelnen Menschen die Frage auftauchen: Was soll das, schliesslich stand Stalin 30 Jahre lang an der Spitze der Partei und des Landes, und zu seinen Lebzeiten wurden grosse Siege errungen; kann man das denn abstreiten? Ich meine, so können nur verblendete und vom Personenkult hoffnungslos hypnotisierte Personen fragen, die das Wesen der Revolution und des Sowjetstaates nicht begreifen, die nicht auf Leninistische Art die Rolle der Partei und des Volkes bei der Entwicklung der Sowjetgesellschaft verstehen.

Die sozialistische Revolution hat die Arbeiterklasse im Bündnis mit der armen Bauernschaft vollbracht, sie wurde vom Volk unter Führung der bolschewistischen Partei durchgeführt. Das grosse Verdienst Lenins beruht darauf, dass er eine Kampfpartei der Arbeiterklasse schuf, sie mit dem marxistischen Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze ausrüstete, mit der Lehre vom Sieg des Proletariats im Kampf gegen den Kapitalismus, dass er die Partei im Feuer der revolutionären Schlachten der Volksmassen stählte. Im Laufe dieses Kampfes verteidigte die Partei konsequent die Interessen des Volkes, wurde seine erprobte Führerin, führte sie die werktätigen Massen zur Macht, zur Errichtung des ersten sozialistischen Staates auf der Welt.

Denken Sie an die klugen Worte Lenins, dass der Sowjetstaat stark ist durch das Bewusstsein der Massen, dass heutzutage Millionen, Dutzende Millionen Menschen Geschichte machen.

Unsere historischen Siege verdanken wir der organisatorischen Arbeit der Partei, ihren zahlreichen örtlichen Organisationen, der opfervollen Arbeit unseres grossen Volkes. Diese Siege – sie sind das Ergebnis der in ihrem Ausmass riesigen Tätigkeit des Volkes und der Partei als Ganzes; sie sind überhaupt nicht die Frucht der Führung nur durch den einen Stalin, wie es in der Blütezeit des Personenkults versucht wurde darzustellen.

Wenn man auf marxistische, auf Leninistische Art an diese Frage herangeht, muss man geradeheraus erklären, dass die Praxis der Führung, wie sie sich während der letzten Lebensjahre Stalins herausformte, zu einem ernsthaften Hemmnis auf dem Wege der Entwicklung der sowjetischen Gesellschaft geworden ist.

Stalin hat sich über lange Monate nicht mit wichtigen und keinen Aufschub duldenden Problemen des Lebens der Partei und des Landes beschäftigt. Zu Zeiten der Führung Stalins waren unsere friedlichen Beziehungen zu anderen Ländern häufig gefährdet, weil seine selbstherrlichen Entscheidungen grosse Komplikationen auslösen konnten und manchmal auch auslösten.

In den letzten Jahren, seit wir uns von der schädlichen Praxis des Personenkults befreiten und eine Reihe verantwortungsvoller Schritte im Bereich der Innen- und Aussenpolitik unternahmen, sehen alle, wie unter ihren Augen die Aktivität zusehends wächst, wie sich die schöpferische Initiative der breiten arbeitenden Massen entwickelt, wie wohltuend all das auf die Ergebnisse unseres ökonomischen und kulturellen Aufbaus Einfluss zu nehmen beginnt.

Einige Genossen können fragen: Wo waren denn die Mitglieder des Politbüros des CK, weshalb sind sie nicht rechtzeitig gegen den Personenkult aufgetreten und tun das erst in letzter Zeit?

Man muss vor allem die Tatsache berücksichtigen, dass die Mitglieder des Politbüros diese Fragen in verschiedenen Perioden unterschiedlich betrachteten. Anfangs unterstützten viele von ihnen aktiv Stalin, weil Stalin einer der stärksten Marxisten war und seine Logik, seine Kraft und sein Willen auf die Kader, die Parteiarbeit grossen Einfluss ausübten.

Es ist bekannt, dass Stalin nach dem Tode W.I. Lenins, vor allem in den ersten Jahren, aktiv für den Leninismus gegen die Feinde der Leninistischen Lehre und diejenigen, die sie entstellten, kämpfte. Die Partei, die die Leninistische Lehre zum Ausgangspunkt nahm, entfaltete mit dem Zentralkomitee an ihrer Spitze die grosse Arbeit zur sozialistischen Industrialisierung des Landes, zur Kollektivierung der Landwirtschaft und zur Verwirklichung der Kulturrevolution. In jener Zeit erwarb sich Stalin Popularität, Sympathie und Unterstützung. Die Partei musste gegen jene kämpfen, die versuchten, das Land vom einzig richtigen, dem Leninistischen Weg abzubringen, sie musste gegen Trotzkisten, Sinowjewleute und Rechte, gegen bürgerliche Nationalisten kämpfen. Dieser Kampf war unabdingbar. Später jedoch begann Stalin, der die Macht immer mehr missbrauchte, mit hervorragenden Funktionären der Partei und des Staates abzurechnen, terroristische Methoden gegenüber ehrlichen sowjetischen Menschen anzuwenden. Wie wir bereits feststellten, verfuhr Stalin gerade so mit den hervorragenden Funktionären unserer Partei und des Staates – mit Kosior, Rudzutak, Eiche, Postyschew und einigen anderen.

Versuche, gegen unbegründete Verdächtigungen und Anklagen aufzutreten, führten dazu, dass der Protestierende der Repression zum Opfer fiel. In dieser Hinsicht ist der Fall des Gen. Postyschew charakteristisch.

In einem Gespräch äusserte Stalin seine Unzufriedenheit mit Postyschew und stellte ihm die Frage:

„Was für einer sind Sie?“

Postyschew erklärte standhaft, wobei er in seinem Dialekt alle „o“ tatsächlich als „o“ aussprach[1]:

„Bolschewik bin ich, Genosse Stalin, Bolschewik!“

Und diese Erklärung galt anfangs als Missachtung Stalins, dann als schädliche Haltung, und in der Konsequenz hatte das die Liquidierung Postyschews zur Folge, der ohne jeglichen Grund zum „Volksfeind“ deklariert wurde.

Es ist klar, dass solche Bedingungen jedes Politbüromitglied in eine äusserst schwierige Situation brachten. Wenn wir darüber hinaus aber die Tatsache berücksichtigen, dass Plena des CK in den letzten Jahren faktisch nicht einberufen wurden und Sitzungen des Politbüros nur von Fall zu Fall stattfanden, dann verstehen wir, wie schwierig es für irgendein Politbüromitglied war, sich gegen dieses oder jenes ungerechte oder fehlerhafte Vorgehen auszusprechen, gegen offensichtliche Fehler und Mängel in der Praxis der Führung.

Wie wir schon konstatierten, wurden viele Entscheidungen individuell durch eine Person oder im Umlaufverfahren, unter Umgehung einer kollektiven Erörterung, getroffen.

Allen bekannt ist das traurige Schicksal des Mitglieds des Politbüros Gen. Voznesenskij, der den Repressalien Stalins zum Opfer fiel. Charakteristisch ist, dass der Beschluss, ihn aus dem Politbüro zu entfernen, niemals diskutiert, sondern im Umlaufverfahren herbeigeführt wurde. Auf die gleiche Weise sind die Beschlüsse zustande gekommen, die Genossen Kuznecov und Rodionov aus ihren Funktionen zu entfernen.

Ernsthaft herabgesetzt wurde die Rolle des Politbüros des CK; dessen Arbeit wurde desorganisiert durch die Schaffung verschiedener Kommissionen innerhalb des Politbüros, der so genannten „Fünfer“, „Sechser“, „Siebener“ und „Neuner“. Hier ist zum Beispiel der Beschluss des Politbüros vom 3. Oktober 1946:

„Antrag Gen. Stalins

  1. Die Kommission für Auswärtige Angelegenheiten beim Politbüro (Sechsergruppe) ist zu beauftragen, sich in Zukunft neben Fragen der Aussenpolitik auch mit Fragen des inneren Aufbaus und der Innenpolitik zu befassen.
  2. Die Zusammensetzung der Sechsergruppe ist um den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der UdSSR, Gen. Voznesenskij, zu ergänzen und die Sechsergruppe künftig Siebenergruppe zu nennen.

Sekretär des CK – I. Stalin.“

Es ist klar, dass die Schaffung derartiger Kommissionen innerhalb des Politbüros – „Fünfer“, „Sechser“, „Siebener“ und „Neuner“ – das Prinzip der kollektiven Führung untergrub. Im Ergebnis waren einige Mitglieder des Politbüros auf diese Weise von der Entscheidung wichtiger Staatsangelegenheiten ausgeschlossen.

Unter unmöglichen Bedingungen befand sich eines der ältesten Mitglieder unserer Partei – Kliment Jefremowitsch Woroschilow. Im Verlaufe einer Reihe von Jahren wurde er faktisch des Rechts der Teilnahme an der Arbeit des Politbüros beraubt. Stalin verbot ihm, zu den Sitzungen des Politbüros zu kommen, und er untersagte es, ihm Dokumente zu schicken. Wenn das Politbüro tagte und Gen. Woroschilow davon erfuhr, rief er jedes Mal an und fragte, ob er zur Sitzung kommen dürfe. Manchmal gestattete Stalin es ihm, doch immer brachte er seine Unzufriedenheit zum Ausdruck. Infolge seines extremen Misstrauens und Argwohns verstieg sich Stalin bis zu einem so unsinnigen und lächerlichen Verdacht, Woroschilow sei ein englischer Agent. So ist es, ein englischer Agent.

Mit einer allein von ihm getroffenen Entscheidung schloss Stalin noch ein anderes Politbüromitglied von der Arbeit des Politbüros aus, Andrej Andrejewitsch Andreev.

Das war zügellose Willkür.

Und nehmen wir das erste CK-Plenum nach dem XIX. Parteitag, als Stalin das Wort ergriff und auf dem Plenum Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow und Anastas Iwanowitsch Mikojan charakterisierte, wobei er gegen diese alten Funktionäre unserer Partei durch nichts begründete Anklagen erhob.

Wenn Stalin noch einige Monate länger am Steuer der Macht geblieben wäre, so wäre es nicht ausgeschlossen, dass die Genossen Molotov und Mikojan auf unserem Parteitag nicht mehr hätten reden können.

Stalin hatte offensichtlich seine Pläne, mit alten Mitgliedern des Politbüros abzurechnen. Manchmal sprach er davon, dass die Mitglieder des Politbüros auszuwechseln seien. Sein Antrag nach dem XIX. Parteitag über die Wahl von 25 Personen in das Präsidium des CK hatte die Beseitigung der alten Mitglieder des Politbüros und die Besetzung durch weniger erfahrene Genossen zum Ziel, damit diese ihn auf jegliche Weise lobpreisen.

Genossen! Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, tritt das Zentralkomitee entschieden gegen den Personenkult auf. Wir meinen, dass Stalin über jedes Mass herausgehoben wurde. Zweifellos hatte Stalin in der Vergangenheit grosse Verdienste gegenüber der Partei, der Arbeiterklasse und der internationalen Arbeiterbewegung.

Kompliziert wird die Frage durch den Umstand, dass all das, worüber an dieser Stelle gesprochen wurde, zu Zeiten Stalins unter seiner Führung und mit seinem Einverständnis begangen wurde, wobei Stalin überzeugt war, dass dies zur Verteidigung der Interessen der werktätigen Massen gegenüber den Umtrieben der Feinde und den Attacken des imperialistischen Lagers unerlässlich sei. All das betrachtete er von der Position der Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse, der Interessen des arbeitenden Volkes, der Interessen des Sieges des Sozialismus und Kommunismus. Darin liegt die wirkliche Tragödie!

Genossen! Lenin unterstrich wiederholt, dass Bescheidenheit eine unverzichtbare Eigenschaft für einen echten Bolschewiken ist. Lenin selbst war die lebendige Verkörperung der grössten Bescheidenheit. Man kann nicht sagen, dass wir in jeder Hinsicht diesem Leninistischen Beispiel gefolgt sind. Es genügt wohl festzustellen, dass vielen Städten, Fabriken und Industriebetrieben, Kolchosen und Sowchosen, Sowjet- und Kultureinrichtungen die Namen von diesen oder jenen Staats- und Parteifunktionären verliehen wurden, die sich noch einer guten Gesundheit erfreuen, womit sie gewissermassen, wenn man so sagen darf, zu ihrem Privateigentum wurden. Ist es nicht an der Zeit, mit diesem „Privateigentum“ Schluss zu machen und die Fabriken und Industriebetriebe, die Kolchosen und Sowchosen zu „nationalisieren“? Schliesslich findet der Personenkult auch in derartigen Fakten seinen Ausdruck.

Wir müssen uns der Frage des Personenkults mit ganzem Ernst widmen. Wir dürfen diese Frage nicht aus dem Parteitag heraustragen, noch weniger in die Spalten der Presse. Ebendeshalb referieren wir sie auf einer geschlossenen Sitzung des Parteitages.

***

Genossen! Wir müssen den Personenkult entschlossen ein für alle Mal beseitigen, entsprechende Konsequenzen sowohl in der ideologisch-theoretischen wie auch in der praktischen Arbeit ziehen.

Zu diesem Zweck ist es erforderlich:

Erstens, auf bolschewistische Art den Personenkult zu verurteilen und auszurotten, der dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd ist und mit den Prinzipien der Führung der Partei und den Normen des Parteilebens unvereinbar ist, unbarmherzig jegliche Versuche bekämpfen, dass er in dieser oder jener Form wiederauflebt.

In unserer ideologischen Arbeit die wichtigen Thesen der Lehre des Marxismus-Leninismus über das Volk als den Schöpfer der Geschichte, als Schöpfer aller materiellen und geistigen Güter der Menschheit, über die entscheidende Rolle der marxistischen Partei im revolutionären Kampf um die Veränderung der Gesellschaft, für den Sieg des Kommunismus wiederherzustellen und konsequent zu verwirklichen.

Im Zusammenhang damit werden wir eine grosse Arbeit vollbringen müssen, um von der Position des Marxismus-Leninismus aus kritisch die weit verbreiteten fehlerhaften Ansichten einzuschätzen und zu korrigieren, die mit dem Personenkult in Geschichte, Philosophie, Ökonomie und anderen Wissenschaften wie auch in Literatur und Kunst verbunden sind. Insbesondere ist in nächster Zeit ein vollwertiges, mit wissenschaftlicher Objektivität verfasstes marxistisches Lehrbuch zur Geschichte unserer Partei auszuarbeiten, desgleichen Lehrbücher zur Geschichte der Sowjetstaates und Bücher, die die Geschichte des Bürgerkrieges und des Grossen Vaterländischen Krieges betreffen.

Zweitens, ist konsequent und beharrlich die in den letzten Jahren vom Zentralkomitee der Partei unternommene Arbeit fortzusetzen, die darauf ausgerichtet ist, peinlich die Leninistischen Prinzipien der Führung der Partei in allen Parteiorganisationen, von oben bis unten, und vor allem das Hauptprinzip, die Kollektivität der Führung, einzuhalten, die Normen des Parteilebens, die im Statut unserer Partei verankert sind, durch die Entwicklung von Kritik und Selbstkritik zu achten.

Drittens, die Leninistischen Prinzipien der sowjetischen sozialistischen Demokratie voll wiederherzustellen, wie sie in der Verfassung der Sowjetunion ausgedrückt sind, die Willkür von Personen zu bekämpfen, die die Macht missbrauchen. Restlos ist mit den Verletzungen der revolutionären sozialistischen Gesetzlichkeit aufzuräumen, die sich über längere Zeit als negative Folgen des Personenkults häuften.

Genossen!

Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion demonstrierte mit neuer Kraft die unverbrüchliche Einheit unserer Partei, ihre Geschlossenheit um das Zentralkomitee, ihren entschlossenen Willen, die grossen Aufgaben des kommunistischen Aufbaus zu erfüllen. Und die Tatsache, dass wir heute die grundlegenden Probleme der Überwindung des mit dem Marxismus-Leninismus unvereinbaren Personenkults sowie der Beseitigung seiner schwerwiegenden Folgen in ganzem Umfang aufwerfen, zeugt von der grossen moralischen und politischen Kraft unserer Partei.

Wir sind vollkommen überzeugt, dass unsere Partei, die mit den historischen Beschlüssen ihres XX. Parteitages ausgerüstet ist, das sowjetische Volk auf dem Leninistischen Wege zu neuen Erfolgen, zu neuen Siegen führen wird.

Es lebe das siegreiche Banner unserer Partei – der Leninismus!

GESCHLOSSENE SITZUNG, am Morgen des 25. Februar 1956

BULGANIN (Vorsitzender). Nun gehen wir zur Rede „Über den Personenkult und seine Folgen“ über. Das Wort für seinen Vortrag übergebe ich Gen. Chruschtschow N.S.

https://www.1000dokumente.de/?c=dokument_ru&dokument=0014_ent&object=translation&l=de

Links zu Russland