Bildung der Ackererde 7 – Charles Darwin

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Register

Kapitel 7

Schluss.

Zusammenfassung der Rolle, welche Regenwürmer in der Geschichte der Erde gespielt haben. – Ihre Hülfe beim Zersetzen der Gesteine, – bei der Abtragung des Landes, – bei der Erhaltung antiker Baureste, – bei der Vorbereitung des Bodens für das Wachstum der Pflanzen. – Geistige Kräfte der Regenwürmer. – Schluss.

Die Regenwürmer haben in der Geschichte der Erde eine bedeutungsvollere Rolle gespielt, als die Meisten auf den ersten Blick annehmen dürften. In beinahe allen feuchten Ländern sind sie ausserordentlich zahlreich und besitzen im Verhältnis zu ihrer Körpergrösse bedeutende Muskelkraft. In vielen Teilen von England geht auf jedem Acre von Land ein Gewicht von mehr als 10 Tonnen (10,516 Kilogramm) trockener Erde jährlich durch ihren Körper und wird auf die Oberfläche geschafft, so dass die ganze oberflächliche Schicht vegetabilischer Ackererde im Verlaufe weniger Jahre wieder durch ihren Körper durchgeht. In Folge des Zusammenfallens der alten Wurmröhren ist die Ackererde in beständiger, wennschon langsamer Bewegung, und die dieselbe zusammensetzenden Teilchen werden hierdurch gegen einander gerieben. Mittelst dieser Vorgänge werden beständig frische Oberflächen der Einwirkung der Kohlensäure im Boden, ebenso auch der der Humussäuren ausgesetzt, welche bei der Zersetzung der Gesteine noch wirksamer zu sein scheinen. Die Erzeugung der Humussäuren wird wahrscheinlich während der Verdauung der vielen halbzersetzten Blätter, welche die Regenwürmer verzehren, beschleunigt. In dieser Weise werden die Erdteilchen, welche die oberflächliche Humusschicht bilden, Bedingungen ausgesetzt, welche ihrer Zersetzung und ihrem Zerfall ganz eminent günstig sind. Überdies erfahren auch die Teilchen der weicheren Gesteinsarten einen gewissen Grad von Zerkleinerung in den Muskelmägen der Regenwürmer, in welchen kleine Steinchen wie Mühlsteine wirken.

Wenn die fein abgeglätteten Wurmexkremente in einem feuchten Zustande an die Oberfläche gebracht werden, fliessen sie während regnerischen Wetters jeden mässigen Abhang hinab, und die kleineren Teilchen selbst werden auf einer nur sanft geneigten Fläche weit hinab gewaschen. Wenn die Wurmexeremente trocknen, zerbröckeln sie oft in kleine Kügelchen und diese rollen dann gern auf jeder geneigten Fläche hinab. Wo das Land vollkommen eben und mit Pflanzenwuchs bedeckt ist, und wo das Klima feucht, so dass nicht viel Staub fortgeweht werden kann, da erscheint es auf den ersten Blick unmöglich, dass in der Luft eintretende Abtragung des Landes in einem irgendwie wahrnehmbaren Grade vorkommen sollte; Wurmexkrementmassen werden aber, besonders wenn sie feucht und klebrig sind, von den vorherrschenden Winden, welche mit Regen begleitet sind, in einer gleichförmigen Richtung weitergeweht. Auf diesen verschiedenen Wegen wird die oberflächliche Humusschicht verhindert, sich bis zu einer bedeutenden Mächtigkeit anzuhäufen; und eine dicke Schicht von Humus hemmt auf vielerlei Weise die Zersetzung der darunterliegenden Gesteine und Gesteinsfragmente.

Die Entfernung der Wurmexkremente durch die oben erwähnten Mittel führt zu Resultaten, welche bei weitem nicht bedeutungslos sind. Es ist nachgewiesen worden, dass eine Erdschicht von 0,2 Zoll Mächtigkeit an vielen Orten jährlich auf einem Acre auf die Oberfläche gebracht wird, und wenn auch nur ein kleiner Teil dieser Menge selbst eine kleine Strecke weit auf jeder geneigten Fläche abwärts fliesst, rollt oder gewaschen wird, oder wiederholt nach einer Richtung hin geweht wird, so wird im Verlauf der Jahrhunderte eine bedeutende Wirkung erzielt werden. Es wurde durch Messungen und durch Berechnungen ermittelt, dass auf einer Oberfläche mit einer mittleren Neigung von 9° 26′ zwei und 4/10 Kubikzoll Erde, welche von Regenwürmern ausgeworfen worden war, im Verlauf eines Jahres eine horizontale Linie von einem Yard Länge überschritten, so dass 240 Kubikzoll über eine Linie von 100 Yards Länge nach unten vorrücken werden. Diese letztere Masse würde im feuchten Zustand 11 1/2 Pfund wiegen. In dieser Weise bewegt sich ein beträchtliches Gewicht Erde beständig auf jeder Seite eines jeden Tales abwärts und wird mit der Zeit den Grund desselben erreichen. Endlich wird diese Erde von den in den Tälern fliessenden Bächen und Strömen in den Ozean, diesem grossen Reservoir für alle vom Lande abgetragene Substanz hinabgeschafft werden. Nach der jährlich vom Mississippi in das Meer abgelieferten Sedimentmasse ist es bekannt, dass sein ungeheuer grosses Entwässerungsgebiet im Laufe eines Jahres um 0,00263 Zoll erniedrigt wird; und dies würde hinreichen, in vier und einer halben Million Jahren das ganze Entwässerungsgebiet auf das Niveau des Meeresufers herabzubringen. Wenn daher ein kleiner Bruchteil der Schicht feiner Erde von 0,2 Zoll Mächtigkeit, welche jährlich von den Regenwürmern an die Oberfläche gebracht wird, fortgeschafft wird, so wird notwendigerweise innerhalb einer Periode, welche kein Geologe für äusserst lang ansehen würde, ein grosses Resultat hervorgebracht werden.

Die Archäologen sollten den Regenwürmern dankbar sein, da sie für eine ganz unbestimmt lange Zeit jeden, nicht der Zersetzung unterliegenden Gegenstand, welcher auf die Oberfläche gefallen ist, durch das Eingraben desselben unter ihre Exkrementmassen schützen und bewahren. In dieser Weise sind auch viele elegante und merkwürdige getäfelte Pflaster und andere antike Reste erhalten worden, obschon ohne Zweifel in diesen Fällen die Regenwürmer in grossem Masse dadurch unterstützt worden sind, dass Erde von dem benachbarten Lande, besonders wenn sich dasselbe in Kultur befand, herabgewaschen oder geweht worden ist. Selbst alte massive Mauern können unterminiert und zum Einsinken gebracht werden; und in dieser Hinsicht ist kein Gebäude sicher, wenn nicht die Fundamente 6 oder 7 Fuss tief unter der Oberfläche liegen, in einer Tiefe, in welcher die Regenwürmer nicht arbeiten können. Es ist wahrscheinlich, dass viele Monolithe und manche alten Mauern deshalb umgestürzt sind, weil sie von Regenwürmern unterminiert waren.

Würmer bereiten den Boden in einer ausgezeichneten Weise für das Wachstum der mit Wurzelfasern versehenen Pflanzen und für Sämlinge aller Arten vor. Sie exponieren die Ackererde periodisch der Luft und sieben sie so durch, dass keine Steinchen, welche grösser sind als die Partikel, die sie verschlucken können, in ihr übrig bleiben. Sie mischen das Ganze innig durch einander, gleich einem Gärtner, welcher feine Erde für seine ausgesuchtesten Pflanzen zubereitet. In diesem Zustand ist sie gut dazu geeignet, Feuchtigkeit zurückzuhalten und alle löslichen Substanzen zu absorbieren, ebenso auch für den Prozess der Salpetererzeugung. Die Knochen toter Tiere, die härteren Teile von Insekten, die Schalen von Landmollusken, Blätter, Zweige usw. werden in kurzer Zeit sämtlich unter den sich auf ihnen anhäufenden Exkrementmassen der Regenwürmer begraben und in dieser Weise in einem mehr oder weniger zersetzten Zustande in erreichbare Nähe für die Pflanzenwurzeln gebracht. Regenwürmer ziehen gleichfalls eine unendliche Anzahl abgestorbener Blätter und anderer Pflanzenteile in ihre Röhren, zum Teil zum Zwecke dieselben damit zuzustopfen, zum Teil aber auch zur Nahrung.

Die Blätter, welche zur Nahrung in die Wurmröhren gezogen werden, werden, nachdem sie in die feinsten Fäden zerrissen, Teilweise verdaut und mit den Absonderungsflüssigkeiten des Darms und der Harnorgane gesättigt sind, mit viel Erde gemischt. Diese Erde bildet dann den dunkel gefärbten reichen Humus, welcher beinahe überall die Oberfläche des Landes mit einer ziemlich scharf umschriebenen Schicht oder einem Mantel bedeckt. V. HENSEN [1] brachte zwei Würmer in ein Gefäss von 18 Zoll Durchmesser, welches mit Sand gefüllt war, auf welchen Blätter gestreut wurden; dieselben wurden sehr bald bis zu einer Tiefe von 8 Zoll in die Wurmröhren gezogen. Nach ungefähr 6 Wochen war eine beinahe gleichförmige Schicht von Sand in einer Dicke von einem Zentimeter (0,4 Zoll engl.) dadurch in Humus umgewandelt, dass er durch den Darmkanal dieser zwei Würmer hindurchgegangen war. Von einigen Personen wird angenommen, dass die Wurmröhren, welche häufig den Boden beinahe senkrecht bis zu einer Tiefe von 5 oder 6 Fuss durchbohren, wesentlich zu seiner Entwässerung beitragen, trotzdem dass die über den Mündungen der Röhren aufgehäuften zähen Exkrementmassen das Regenwasser verhindern oder aufhalten, direkt in die Röhren zu dringen. Sie lassen die Luft tief in den Boden hinabdringen. Sie erleichtern auch bedeutend das Hinabdringen der Wurzeln mässiger Grösse; und diese werden durch den Humus, mit welchem die Wurmröhren ausgekleidet sind, ernährt werden. Viele Samenkörner verdanken ihre Keimung dem Umstande, dass sie mit Wurmexkrementen bedeckt wurden; andere, bis zu einer beträchtlichen Tiefe unter aufgehäuften Exkrementmassen begraben, liegen schlafend dort, bis sie in irgendeiner zukünftigen Zeit zufällig entblösst werden und keimen.

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[1] Zeitschr. f. wiss. Zool. 28. Bd. 1877. p. 360.

Regenwürmer sind nur kümmerlich mit Sinnesorganen versehen, denn man kann nicht sagen, dass sie sehen, obgleich sie so eben noch zwischen Hell und Dunkel unterscheiden können; sie sind vollkommen taub und haben nur ein schwaches Riechvermögen; nur der Gefühlssinn ist gut entwickelt. Sie können daher nur wenig von der sie umgebenden Welt erfahren, und es ist überraschend, dass sie beim Auskleiden ihrer Röhren mit ihren Exkrementen und mit Blättern und, bei manchen Spezies, beim Aufhäufen ihrer Exkrementmassen zu turmartigen Gebäuden einiges Geschick entwickeln. Es ist aber noch weit überraschender, dass sie in der Art und Weise, wie sie die Mündungen ihrer Röhren zustopfen, augenscheinlich einen gewissen Grad von Intelligenz darbieten, anstatt einem blossen blinden instinktiven Antriebe zu folgen. Sie verfahren dabei nahezu in derselben Weise, wie ein Mensch es tun würde, welcher eine zylindrische Röhre mit verschiedenen Arten von Blättern, Blattstielen, Papierdreiecken usw. zu schliessen hätte; denn sie ergreifen gewöhnlich solche Gegenstände bei ihren spitzen Enden. Aber bei dünnen Gegenständen wird eine gewisse Anzahl bei dem breiten Ende hineingezogen. Sie handeln nicht in allen Fällen in ein und derselben unveränderlichen Art und Weise, wie es die meisten niederen Tiere tun sie ziehen beispielsweise Blätter nicht bei den Stielen ein, wenn nicht der Basalteil der Blattscheibe so schmal wie der Spitzenteil oder schmäler ist.

Wenn wir eine weite mit Rasen bedeckte Fläche betrachten, so müssen wir dessen eingedenk sein, dass ihre Glätte, auf welcher ihre Schönheit in einem so hohen Grade beruht, hauptsächlich dem zuzuschreiben ist, dass alle die Ungleichheiten langsam von den Regenwürmern ausgeebnet worden sind. Es ist wohl wunderbar, wenn wir uns überlegen, dass die ganze Masse des oberflächlichen Humus durch die Körper der Regenwürmer hindurchgegangen ist und alle paar Jahre wiederum durch sie hindurchgehen wird. Der Pflug ist einer der allerältesten und wertvollsten Erfindungen des Menschen; aber schon lange, ehe er existierte wurde das Land durch Regenwürmer regelmässig gepflügt und wird fortdauernd noch immer gepflügt. Man kann wohl bezweifeln, oh es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben, wie diese niedrig organisierten Geschöpfe. Indessen haben einige andere noch niedriger organisierte Tiere, nämlich die Korallen, bei weitem in die Augen fallendere Tätigkeit darin entfaltet, dass sie unzählige Riffe und Inseln in den grossen Weltmeeren gebaut haben; diese sind aber beinahe ganz auf die tropischen Zonen beschränkt.

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Zusätze.

 

 

Zu p. 16 Z. 4 von oben („und daher ihre Höhlen verliessen“). Nach einer Schilderung, welche ich erhalten habe, zweifle ich nicht, dass sie dies tun, wenn sie von Maulwürfen verfolgt werden; ein Herr Teilt mir aber mit, dass er vor Kurzem 8 oder 10 Regenwürmer ihre Höhlen verlassen und über das Gras auf etwas schwammigem Lande umherkriechen gesehen hat, auf welchem zwei Männer eben herumgetreten waren, während sie eine Falle aufstellten; und dies ereignete sich in einem Teile von Irland, wo sich keine Maulwürfe finden.

Zu p. 33 Z. 1 von oben. Sie arbeiten zuweilen so energisch, dass Mr. D.F. SIMPSON, welcher in Bayswater einen kleinen ummauerten Garten besitzt, wo Regenwürmer äusserst zahlreich sind, mitteilt, er habe dort an einem windstillen feuchten Abend ein so ausserordentliches raschelndes Geräusch von unter einem Baume her, von welchem viele Blätter abgefallen waren, gehört, dass er mit einem Lichte hinausgegangen sei und da entdeckt habe, dass das Geräusch dadurch verursacht wurde, dass viele Regenwürmer die trockenen Blätter fortschleppten und sie in ihre Röhren hineinzwängen. Nicht nur Blätter, sondern auch Blattstiele vieler Arten usw.

Zu p. 35 Z. 13-20 von oben (Anstatt: „Oder könnten die Pfropfen“ etc. zu lesen:) Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Pfropfen oder die Steinhaufen dazu dienen, die Röhren vor den Skolopendern zu verbergen, welche nach der Angabe von HOFFMEISTER [4] die bittersten Feinde der Regenwürmer sind, oder vor den grossen Spezies von Carabus, welche dieselben wütend angreifen; denn diese Tiere sind nächtliche Tiere und die Wurmröhren des Nachts geöffnet. Könnten nicht die Regenwürmer, wenn die Mündung ihrer Röhren in dieser Weise geschützt ist, im Stande sein, mit Sicherheit mit ihren Köpfen dicht an denselben zu bleiben usw.

Zu p. 35 Z. 6 von unten (vor: „Es kann aber auch“). Mr. PARFITT sprach die Vermutung gegen mich aus, dass die Mündungen der Wurmröhren deshalb geschlossen werden, damit die Luft innerhalb derselben durch und durch feucht erhalten werde, und dies scheint mir die allerwahrscheinlichste Erklärung der Gewohnheit zu sein.

  1. 5 von unten das Wort „vielleicht“ zu streichen.

Zu p. 83 Z. 10 von oben. The Rev. Mr. ZINKE Teilt mir mit, dass er vor kurzem einen Obstgarten bis zu der ungewöhnlichen Tiefe von 4 Fuss hat umgraben lassen. Die oberen 18 Zoll bestanden aus dunkelgefärbter vegetabilischer Ackererde und die nächsten 18 Zoll aus sandigem Lehm, welcher im unteren Teile viele abgerollte Sandsteinstücke mit einigen Stückchen von Ziegeln und Fliesen wahrscheinlich römischen Ursprungs enthielt, da Überreste aus dieser Zeit dicht dabei gefunden worden sind. Der sandige Lehm lag auf einer erhärteten eisenschüssigen Lage gelben Tons, auf deren Oberfläche zwei vollkommene Feuersteinwerkzeuge gefunden wurden. Wenn diese letzteren, wie es wahrscheinlich zu sein scheint, ursprünglich auf der Oberfläche des Landes liegen geblieben waren, so sind sie seitdem mit einer Schicht Erde von 3 Fuss Mächtigkeit bedeckt worden, welche wahrscheinlich alle durch den Körper der Regenwürmer hindurch gegangen ist mit Ausnahme der Steine, welche zu verschiedenen Zeiten auf der Oberfläche verstreut worden sein dürften zusammen mit Dünger oder auf anderem Wege. Auf andere Weise ist es schwer, die Herkunft der 18zölligen Schicht sandigen Lehms zu verstehen, welcher von der darüber liegenden dunklen vegetabilischen Ackererde, nachdem beide verbrannt worden waren, nur darin abwich, dass er von einer hellen roten Farbe und nicht so feinkörnig war. Aber nach dieser Ansicht müssen wir annehmen, dass der Kohlenstoff in der vegetabilischen Ackererde, wenn sie in einer geringen Tiefe unter der Oberfläche liegt und nicht beständig von oben her zerfallende vegetabilische Substanz erhält, seine dunkle Farbe im Laufe der Jahrhunderte verliert; ob dies aber wahrscheinlich ist, weiss ich nicht.