Naturgedicht von Reiner Kunze

 

bei ihrem wahren namen

Getäuscht sein will allein
der mensch

Er täuscht sich
aus der welt hinaus, die dinge

kennen kein verzeihn

 

Annäherung an das Gedicht

Ein Hund hört auch nur, wenn du ihn rufst. Auch deine Mitmenschen musst du ansprechen, damit sie dich hören, mit dir Kontakt aufnehmen.

Wirklich zuhören wird dir aber jemand nur, wenn du seinen Namen kennst. Bei Hunden ist das meistens so, bei Menschen sicher. Wer mit dem falschen Namen angesprochen wird, der wendet sich ab, da er sich nicht erkannt fühlt, oder eben nicht angesprochen fühlt.

Wo denn lieben wir Menschen die Täuschung? Harte Wahrheiten sind uns nicht immer genehm, wenn uns jemand etwas vortäuscht, dann können wir es manchmal auch geniessen. Oft tun dies Politiker, wenn sie für die schwierigen Fragen einfache Antworten parat haben…

Mit dieser Täuschung aber nähert er sich nicht, sondern entfernt sich. Er lebt dann in einer Blase der Illusion, der Phantasie.

Doch bei den Dingen klappt das nicht. Die entziehen sich dir, wenn du ihnen falsche Namen gibst.

Notiz zum Leben von Reiner Kunze

Reiner Kunze, geboren 1933 in Oelsnitz im Erzgebirge; Bergarbeitersohn, Studium der Philosophie und Journalistik in Leipzig. 1977 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag die gesammelten Gedichte in dem Band »gedichte«, »Der Kuß der Koi. Prosa und Fotos«, die Nachdichtungen »Wo wir zu Hause das Salz haben« sowie der Gedichtband »lindennacht«. Für sein umfassendes lyrisches, essayistisches und erzählendes Werk erhielt Reiner Kunze zahlreiche Literaturpreise, darunter den Georg-Büchner-Preis, den österreichischen Georg-Trakl-Preis und den Friedrich-Hölderlin-Preis. Seine Lyrik und Prosa wurden in dreißig Sprachen übersetzt.

Quellen

Ein Hausbesuch bei Reiner Kunze