Entdecker der Eizelle von Säuger und Mensch
Karl Ernst von Baer (Karl Maksimovich) wurde am 28. Februar 1792 auf dem Gut Piep (Piibe) im Bezirk Järvamaa (Estland) geboren. Er wurde in eine wohlhabende Familie geboren, sein Vater, Magnus von Baer, war der Besitzer vom Gut Piep und „Oberritter des Ordens der Ritter von Estonia“ (Knight Commander of the Order of the Knights of Estonia), seine Mutter Vaters Cousine Juliane von Baer.Die ersten sechs Jahre seines Lebens verbrachte Baer auf dem Gut Lassila (Lasila), das seinem Onkel Karl Heinrich von Baer gehörte.
Mit 16 Jahren begann er sein Studium an der Kathedrals-Schule in Reval (Tallinn), wo er bis 1810 lernte. Danach begann er ein Medizinstudium an der Universität Dorpat. Sein Interesse galt besonders den Vorlesungen von Karl Friedrich Burdach, einem deutschen Anatomen und Physiologen aus Leipzig. Sein Medizinstudium schloss Baer 1814 mit einer Doktorarbeit ab, die den Titel trug De morbis inter esthonos endemicis (Über endemisch-estonische Krankheiten). Diese Arbeit untersuchte die Krankheiten, die in Estland mit den Lebensbedingungen, Ernährung und persönlichen Charaktereigenschaften der Estländer zusammenhängen.
1814 setzte er seine Studien ein Jahr in Wien und danach ein Jahr in Würzburg unter der wissenschaftlichen Betreuung des Anatomen Ignaz Döllinger (1770-1841) fort. Dort eignete er sich Fertigkeiten im Sezieren und Präparieren an und begann sich vor allem für Anatomie und Entwicklungsfragen zu interessieren.
1816 lud sein ehemaliger Lehrer Burdach Karl von Baer nach Königsberg ein. Baer nahm die Stelle eines Prosektors an und wurde habilitierte an der Universität Königsberg.
1819 heiratet Karl Ernst von Baer Auguste von Medem. Aus dieser Verbindung gingen sechs Kinder hervor.
Im gleichen Jahr wurde er zum ausserordentlichen Professor gewählt, zwei Jahre später erhielt er das Ordinariat für Zoologie. Später (1826) übernahm von Baer auch noch das Ordinariat für Anatomie.
Karl Ernst von Baer nahm regen Anteil am Sozialleben in Preussen. Von 1821 an war er Direktor des Zoologischen Museums von Königsburg, das er selber ins Leben gerufen hatte.
Es war auch in Königsburg, wo Baer neben Forschung in Anatomie mit seinen embryologischen Studien bei Tieren begann. Er führte Arbeiten seines Fachkollegen Christian Heinrich Pander (1794-1865) aus Riga, der 1817 die Organe des Hühnchen-Embryos von den Keimblättern abgeleitet hatte, fort, untersuchte auch die Entwicklung von Fischen, Amphibien, Reptilien und Säugern. Dabei entdeckte er die Blastula, ein wichtiges Stadium in der Entwicklung, untersuchte die Chorda (Notochord) und die Embryonalhüllen und Keimschichten.
1826 entdeckte von Baer die Eizelle von Säugern und des Menschen. Er publizierte diese zentrale Entdeckung ein Jahr später (De ovi mammalium et hominis genesi. Lipsiae, 1827).
Mit seiner grossen Erfahrung und Übersicht konnte er zeigen, dass die Embryonalentwicklung der Tiere von generellen Formen und Eigenheiten zu differenzierten, arttypischen Eigenheiten fortschreitet. Diese Entdeckung ist heute unter dem Begriff Baersche Regel (Gesetz der Embryonenähnlichkeit) bekannt.
Mit seiner Monografie „Über Entwickelungsgeschichte der Thiere“ Bd. I-II. Königsberg, 1828, 1837 (der letzte Band wurde von L. Stieda aus Königsberg 1888 posthum zusammengestellt), die seine Entwicklungsarbeiten zusammenfassten, legte er den Grundstein zu einer Vergleichenden und Beschreibenden Embryologie.
Auf der Grundlage seiner Arbeiten präsentiere von Baer eine Theorie der Typen, die von der Cuviers abwich.Die Zeitgenossen von Ernst von Baer erkannten die Bedeutung seiner Forschung nicht. die erfolglosen Versuche, Geld für seine Projekte aufzutreiben (z.B. für Expeditionen) brachten von Baer in eine physische Krise.
1830 arbeitete von Baer für eine kurze Zeit an der Petersburger Akademie der Wissenschaften als Direktor des Zoologischen Museums. Aber noch im selben Jahr kehrte er zurück nach Königsberg.1834 reiste Karl von Baer erneut nach St. Petersburg, wo er an der Akademie zuerst als Zoologe (1834-46), dann als Vergleichender Anatom und Physiologe (1846-62) wirkte. Als Karl von Baer 1862 zum Berater in den Dienst des Ministeriums für Erziehung berufen wurde, bemühte er sich um die Situation an Schulen in Russland.
Karl von Baer hat sich nicht nur in der Embryologie verdient gemacht. Seine Forschungen in St. Petersburg erstreckten sich auch auf Gebiete der Geografie, Ökologie und Anthropologie. Mit einer Expedition nach Novaya Zemlya im Jahre 1837 legte er den Grundstein für die ökologische Forschung in Russland. Baer untersuchte Spuren der Eiszeit an der Südküste von Finnland (1838-39). Als erster machte er auf die Bedeutung des sibirischen Permafrostes aufmerksam. In Zusammenarbeit mit F. v. Wrangell und F. Lütke bewirkte Karl von Baer, dass in Russland eine Geografische Gesellschaft gegründet wurde, die sich dann vor allem auch mit ganz praktischen Fragestellungen wie die Fischerei auseinandersetzte. Auf sechs Expeditionen zum Peipsi-See, der nördlichen Küste des Baltischen Meeres, Schweden und Finnland (1851-52) untersuchte er die Fischerei und die Fischbestände. Weitere Untersuchungen folgten am Kaspischen Meer und im Kaukasus (1853-56).
Damit wurde von Baer zum Pionier der Fischbiologie in Russland, er brachte diese Forschung auf ein internationales Niveau. Seinen Untersuchungen waren die Grundlage für das erste Gesetz zum Schutze der Fischbestände in Russland (1859). Auf seinen letzten Exkursionen beobachtete Baer die Asymmetrie der Flussufer (1856), die er auf die Erdrotation zurückführte (Baer-Babinet Gesetz). Zusammen mit Helmersen gründete Karl von Baer die erste Naturwissenschaftliche Zeitschrift Russlands (Beiträge zur Kenntniss des Russischen Reiches), die zwischen 1839 und 1872 26 Bände herausgab.
Zwischen 1858-62 arbeitete Baer wiederum vermehrt an anthropologischen Themen und an Craniologie (Schädelkunde). Baer und A. A. Retzius wurden Begründer der vergleichenden Schädellehre. Sie führten ein standardisiertes System der Schädelvermessung ein. Zusammen mit R. Wagner organisierte Baer auch den ersten Anthropologen-Kongress, den er in Göttingen im Jahre 1861 leitete.
Die Zeitschrift „Archiv für Anthropologie“ ist ebenfalls auf Baers Initiative zurückzuführen. Seine letzten Lebensjahre (1867-76) verbrachte Baer in Dorpat (Tartu). Er verfasste zahlreiche Artikel (mehr als 400!) über theoretische Biologie, in denen er zum Beispiel die Evolutionslehre von Charles Darwin kritisierte. Auch war er Mitglied von fast 100 wissenschaftlichen Institutionen. Karl Ernst von Baer starb am 28. November 1876 in Dorpat (Tartu), Estland.
Zitate von Karl Ernst von Baer
Aus: Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtige? Und wie ist diese Auffassung auf die Entomologie anzuwenden? [1860]
Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts. Erster Theil: Reden. St. Petersburg: H. Schmitzdorff. (p. 237-284)
In den Organismen sind die einzelnen Theile derselben nach dem Typus und Rhythmus des zugehörigen Lebens-Processes und durch dessen Wirksamkeit gebaut, so dass sie einem andern Lebens-Processe nicht dienen können. Deswegen glaube ich die verschiedenen Lebens-Processe, mit musikalischen Gedanken oder Thematen sie vergleichend, Schöpfungsgedanken nennen zu können, die sich ihre Leiber selbst aufbauen. Was wir in der Musik Harmonie und Melodie nennen, ist hier Typus (Zusammensein der Theile) und Rhythmus (Aufeinanderfolge der Bildungen).
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Es ist nothwendig, (…) dass man Typus und Rhythmus des Lebens nicht als Ergebniss des Stoffwechsels betrachte, sondern als dessen Leiter und Lenker, wie ein Gedanke oder Psalm wohl die Worte sucht und ordnet, um sich vernehmbar zu machen, nicht aber aus den einzelnen Wörtern nach deren eigenem Werth und Streben erzeugt wird. Aus: Über Zielstrebigkeit in den organischen Körpern insbesondere. [1886]
Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts. 2ter Theil: Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften. 2te Ausgabe. Braunschweig: Verlag von F. Vieweg. (p. 171-234) Ohne Zweifel ist auch der Organismus ein mechanischer Apparat, eine Maschine, die sich selbst aufbaut. Der Lebensprocess verläuft unter ununterbrochenen chemischen Vorgängen; deswegen könnte man einen Organismus auch ein chemisches Laboratorium nennen; allein er ist zugleich auch der Laborant, indem er die für den Fortgang der chemischen Operationen notwendigen Stoffe aus der Aussenwelt aufnimmt; kann er sie nicht haben, so hört der Lebensprocess auf. Aus: Das allgemeinste Gesetz der Natur in aller Entwickelung. [1864]
Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts. Erster Theil: Reden. St. Petersburg: H. Schmitzdorff (p. 35-74).
Die organischen Körper sind nicht nur veränderlich, sondern die einzigen, die sich selbst verändern.
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Man könnte mit demselben Rechte aber auch sagen, es sei gar keine Selbstbildung oder Wachstum, da jeder Moment der scheinbaren Selbstbildung ein Moment der Zeugung ist. So also ist hier Zeugung und Selbstbildung recht eigentlich derselbe Process, und Wachstum ist nur der allgemeinere Ausdruck.
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Eine ganz ähnliche Stufenfolge ist in den Pflanzen, nur mit dem Unterschiede, dass die höhern Formen fehlen, wo die Zeugung unter dem Einflusse des Willens steht, weil der Wille und das gesammte animalische Leben den Pflanzen abgeht. Dagegen ist das Sprossen sehr gemein.
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Jeder Theil ist ein Keim und der ganze Organismus nichts als ein Keimlager, das mit Nothwendigkeit, wenn nicht sein Leben zerstört wird, die gesammte Masse des Leibes in neue Individuen ausbildet, mit einziger Ausnahme der äussern Hülle.
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So ist der Erdkörper nur das Saamenbeet, auf welchem der geistige Erbtheil des Menschen wuchert, und die Geschichte der Natur ist nur die Geschichte fortschreitender Siege des Geistes über den Stoff. Das ist der Grundgedanke der Schöpfung, dem zu Gefallen, nein, zu dessen Erreichung sie Individuen und Zeugungsreihen schwinden lässt und die Gegenwart auf dem Gerüste einer unermesslichen Vergangenheit erhebt.
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