Was heisst es, Mensch zu sein? – Organische, anatomische und morphologische Eigenheiten
Gemeinsamkeiten mit den anderen Primaten
Mit den Primaten teilt der Mensch Greifhände mit gegenüberstellbarem Daumen,
- flache, kurze Nägel, Füsse mit Grosszeh,
- ähnlich gestaltete Ohrmuscheln
- ein relativ grosses Hirnvolumen.
- nach vorne gerichtete Augen; die das Raumsehen zur höchsten Entwicklung gebracht haben.
- die gleiche Zahnformel wie das Gebiss des Menschen.
Allgemein lässt sich sagen, dass der menschliche Körper nach einem Bauplan konstruiert ist, der mit wachsender Ähnlichkeit dem Wirbeltier-, Säuger-, Primaten- und Menschenaffenbauplan entspricht.
Unterschiede zu den anderen Primaten
Der Mensch ist das Wesen, welches aufrecht geht. Sein Skelettbau ist umfassend dafür eingerichtet (Anthropologische Definition). Der aufrechte Gang, die sogenannte Bipedie (Zweibeinigkeit), kommt im Tierreich zwar häufig vor (z.B. bei Dinosauriern, Vögeln, Bären), doch ist deren Aufrichtung nur unvollkommen. Die völlige Aufrichtung findet sich nur beim Menschen. Eine aufrechte Körperhaltung und aufrechtes Laufen sind auch den Menschenaffen möglich, jedoch nur für begrenzte Zeit und unter sehr viel höherem Energieaufwand, da sie gezwungen sind, sich ständig in der Kniebeuge zu bewegen. Der aufrechte Gang gab der sozialen Beziehung «von Angesicht zu Angesicht» seine volle Ausprägung.
Die Wirbelsäule wird aus einem Brückenbogen zu einer federnden Säule, die durch mehrfache Biegung die Stösse des zweibeinigen Gehens auffängt und die Rumpfmasse über die Stützfläche der Füsse bringt.
Das Becken hat nunmehr die ganze Last der Eingeweide des Unterrumpfes zu tragen, die Beckenschaufeln treten daher breit auseinander und werden durch das gleichfalls verbreiterte Kreuzbein in ihrer tragenden Funktion unterstützt.
Breiter und flacher wird mit der Aufrichtung auch der Brustkorb. Diese Verbreiterung und Abflachung des oberen Rumpfes bedingen auch die Verlagerung der Schulterblätter aus ihrer seitlichen Lage nach hinten, wodurch der Arm jene grosse seitliche Beweglichkeit gewinnt, die für den Menschen so charakteristisch ist.
Stärker durch die aufrechte Haltung geprägt werden die hinteren Extremitäten (die Beine). Sie allein tragen jetzt den Körper und haben ihn fortzubewegen. Sie werden beim Menschen besonders lang und kräftig. Im Vergleich zu den Menschenaffen werden die Beine indessen nicht nur wesentlich länger als die Arme, auch im Verhältnis zur Rumpflänge entwickelt der Mensch die längsten Beine.
Der menschliche Fuss, als an den zweibeinigen Gang angepasste Stütze, weist kaum mehr den Charakter eines Greiffusses auf. In der embryonalen Entwicklungsphase stimmt die menschliche Fussform bis zu einem gewissen Grad noch mit derjenigen anderer Primaten überein; erst später erfolgt die Differenzierung. Im Zuge der Eigenentwicklung tritt die Grosszehe in die Reihe der übrigen Zehen und verstärkt sich. Die Zehenglieder, insbesondere die der fünften Zehe, verkürzen sich auffallend. Im Zuge der Aufrichtung kommt es zur Ausbildung des Fussgewölbes. Die Wölbung, die sowohl längs als auch quer verläuft, gewährleistet die notwendige Elastizität beim zweibeinigen Gehen, Laufen und Springen.
Der Schädel wird über der aufrechten Längsachse des Körpers frei balanciert und lässt Nackenmuskulatur und Schnauzenpartie degenerieren. Es wird zum besonderen Kennzeichen des menschlichen Schädels, dass ein relativ kleiner Gesichtsschädel sich nicht mehr vor, sondern unter dem mächtig sich wölbenden Hirnschädel legt.
Der Zahnbogen wird verkürzt, die Zähne sind zwar heterodont, doch recht regelmässig (ohne funktionelle Spezialisierung auf eine bestimmte Nahrung).
Die Zunge wird kürzer und gedrungener.
Das grosse Gehirn gewinnt den notwendigen Raum vor allem durch Erhöhung der Schädelkapsel. Hinterhaupt und Seitenwände werden beim Menschen feiner modelliert.
Das menschliche Gehirn ist wohl die entscheidende materielle und strukturelle Vorbedingung der geistigen Entwicklung des Menschen. Der Mensch hat innerhalb der Primatenreihe das grösste Hirnvolumen und Gewicht. Im Schnitt sind es 1400 – 1500 g, wohingegen der Orang-Utan nur 350 g, der Schimpanse 400 g und der Gorilla 500 g Hirngewicht aufweisen; auch im Anteil des Hirngewichts am gesamten Körpergewicht steht der Mensch unter den Primaten an erster Stelle. Für die Beurteilung der Entwicklungshöhe des Gehirns eines Säugers als Grundlage seiner psychischen Leistungen ist das Grosshirn (Endhirn) allein ausschlaggebend, nicht das Gesamthirn. Die Vergrösserung des Grosshirns, das hinten die übrigen Hirnteile immer mehr überwächst, wird gleichzeitig durch die Bildung von Falten und Furchen ergänzt. Die in dieser Weise erzielte Oberflächenvergrösserung der 2 bis 3 mm dicken Schicht von Nervenzellen ist in besonderem Masse Ausdruck höherer Differenzierung. Die Steigerung der Hirnmasse und die Komplizierung im Bau der Hirnrinde werden unter dem Begriff der Zerebralisation zusammengefasst. Beim Menschen scheinen sich völlig neue Rindengebiete entwickelt zu haben.
Die Gesichtsmuskulatur wird feiner und reicher differenziert (Mimik).
Embryologie und Entwicklung
Der Mensch hat eine im Vergleich zu anderen Säugetieren die längste Säuglings- und Kinderzeit bis zur Geschlechtsreife (Schutzbedürftigkeit).
Sein Wachstum und sein Reifen erfolgt langsam.
Der Mensch ist ein „latenter Nestflüchter„: Die Sinnesorgane, der Bewegungsapparat und die Markscheiden sind bei der Geburt ausgebildet. Die motorischen Fasern im Rückenmark gleichen den der Erwachsenen, und das Neugeborene hat eine hohe Gehirnmasse. Aber es besteht ein grosser Abstand zur adulten Körperform. Das fötale Wachstum wird im ersten Lebensjahr fortgeführt.
Der Mensch wird in einem frühen Stadium geboren. Er ist eine „normalisierte“ oder „physiologische Frühgeburt“ (Portmann). Vergleichbare Nestflüchter bräuchten 21 Monate Tragzeit. Die Pränatalentwicklung müsste ein Jahr länger sein.
Extrauterin muss noch eine grosse Entwicklung des menschlichen Neugeborenen stattfinden, spezifisch menschliche Verhaltensweisen (aufrechter Gang, Sprache, einsichtiges Handeln) sind noch nicht vorhanden; die natürliche Unfertigkeit wird durch soziale Fürsorge (Erziehungsnotwendigkeit) ausgeglichen
Der Mensch ist bei Geburt hilflos. Er wird zum „sekundären Nesthocker“ (eigentlich ist er ein Nestflüchter, wird aber durch seine frühe Geburt zu einem sekundären Nesthocker)
Durch die frühe Begegnung mit der Umwelt ist die extrauterine Frühphase sehr wichtig. Der Uterus muss nach der Geburt durch die Geborgenheit in der Umwelt ersetzt werden (sozialer Mutterschoss). Es ist bis zum Abschluss seines ersten Lebensjahres völlig auf die Pflege und Betreuung durch eine primäre Bezugsperson (z.B. Mutter) angewiesen.
Der Mensch hat eine lange Lebensspanne.
Insbesondere haben Frauen eine einzigartige Lebenszeit nach der fruchtbaren Phase.
Ökologie, Physiologie, Ethologie
Der Mensch ist nicht an eine ökologische Nische gebunden.
Der Mensch hat sich in seinen Grundzügen weitgehend unabhängig von den Klimaverhältnissen entwickelt.
Der Mensch zeigt kein charakteristisches Verhalten einer Spezies, sein Verhalten wird von der Umwelt beeinflusst.
Der Mensch ist gegenüber dem Tier arm an Instinkten (z.B. das Saugverhalten und der Klammerinstinkt beim Neugeborenen). Das Tier hingegen ist durch seine Instinkte bezüglich der Selbst- und Arterhaltung gesichert
Der Mensch ist das Wesen, welches Werkzeuge herstellt, um andere Werkzeuge herzustellen (planend, vorausschauend). (Definition der Archäologen)
Psychische und sozio-kulturelle Eigentümlichkeiten
Der Mensch ist besonders neugierig, weltoffen und lernfähig.
Der Mensch benützt als Kommunikationsmittel eine komplexe Symbol-Sprache. Sie ist weit abstrakter und komplexer als alle bekannten Tier-Kommunikationssysteme (Sprachwissenschaftliche Definition).
Der Mensch ist mit einem deutlichen Selbstbewusstsein begabt. Er hat die Möglichkeit, über sich selbst nachzudenken, sich als „objektiven“ Gegenstand zu betrachten.
Der Mensch ist ein in Symbolen denkendes, die Zukunft planendes Wesen. Er ist das einzige Wesen, das auf etwas zeigen kann.
Der Mensch hat das Bedürfnis nach Religion, Kunst und Kultur. Es hebt sich mit ihm eine Kultur ab mit unübersehbaren materiellen Schöpfungen von Geräten, Kleidern, Schmuck, Häusern, Waffen; mit Religion, Musik, Dichtung und Wissenschaft.
Mensch als primitives, unspezialisiertes Wesen ohne funktionelle Anpassungen
Der Mensch ist in seinen Hauptmerkmalen unspezialisiert. „Seine einzige Spezialisierung ist die Nicht-Spezialisierung“.
Der Mensch hat sich starken körperlichen Anpassungen an Natur-Gegebenheiten (Klima, Konkurrenz) entzogen.
Seine Organe sind mehrheitlich primitiv (im Sinne von ursprünglich), viele Merkmale sind primitiver als die der Affen.
Es fehlen ihm Angriffs-, Schutz- und Fluchtorgane (fehlende organische Anpassungen wie Reisszähne zum Fleischverzehr, Gift oder Stachel). Seine Organisation ist nicht auf bestimmte Handlungen hin spezialisiert
Der Mensch als „Mängelwesen“
Infolge dieser Mangelstruktur ist der Mensch durch die Umwelteinflüsse stärker belastet und seinen unfixierten Trieben noch viel stärker ausgeliefert als das Tier (Eindrucksoffenheit).
Damit ist die Aufgabe des Menschen, die biologischen Mängel auszugleichen, d.h. das Leben zu „entlasten“. Gerade weil er seine Mängelhaftigkeit kompensieren muss, eröffnen sich dem Menschen Chancen. Er ist nämlich gezwungen, auf die Welt hin zu handeln.
Als handelndes Wesen schafft er sich eine “zweite Natur”, nämlich Kultur. Die menschliche Existenz ist wesentlich dadurch bestimmt, dass er ein Kulturwesen sei. Er ist deshalb ein „Sonderentwurf” der Natur.
Probleme tauchen auf wegen des aufrechten Ganges: Knieschwächen, X- und O-Beine, Krampfadern.