Die Rattenlinien

Die Fluchtwege der Nazi-Kriegsverbrecher nach 1945

Vielen Kriegsverbrecher-Nazis gelang die Flucht. Die Route über Süd-Tirol war insofern ideal, als das Land wenig bewacht und kontrolliert war und viele Süd-Tiroler eine Sympathie für Deutschtum und Nationalsozialismus hatten. Die amerikanische Armee besetzte Südtirol nach Kriegsende kurz, verliess es aber Ende 1945 schon wieder und ermöglichte einen rechtsfreien Raum.

Die Fluchtrouten der Nazis wurden als «Rattenlinien» bezeichnet, aufgrund der Hilfe durch katholische Geistliche auch „Klosterrouten“. Es ist erwiesen, dass sogar der Vatikan den Nazi-Tätern aktiv geholfen hat.

Von München gings nach Innsbruck. Die Staatsgrenze nach Italien wurde über den Brenner- oder den Reschenpass überquert. Die Südtiroler Kleinstadt Meran war nach dem Zweiten Weltkrieg Hochburg und Drehscheibe für die fliehenden Nazis. Der beschauliche Kurort an den Alpen lag direkt auf der Rattenlinie. Von hier aus ging es nach Genua oder Rom.

Wer sich vor den Behörden verstecken muss, sei „nirgends sicherer“ als in Südtirol, schrieb später ein Flüchtling begeistert, der sich in Meran falsche Papiere organisierte und dann von Genua nach Südamerika ausreiste.

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Hilfe bekamen die Nazis von vielen lokalen Fluchthelfern, welche damit viel Geld verdienten. Für eine Fluchthilfe wird bis zu umgerechnet 2000 Euro bezahlt.

Einmal in Italien angekommen, war ein erstes wichtiges Ziel die Hafenstadt Genua. Mit Hilfe des italienischen Roten Kreuzes und der Katholischen Kirche und des Vatikans erhielten die flüchtenden Nazis Unterkunft und falsche Pässe.

Von Genua und Rom aus gab es Schiffsverbindungen nach Südamerika, Argentinien, Bolivien, Chile, wo die Nazis grosszügig aufgenommen wurden. Alternativ aber reisten viele Nazis auch nach Rom, wo sie vom Vatikan (vor allem in der Person von Nazi-Bischof Alois Hudal) mit offenen Armen aufgenommen wurden.

Eine Liste von 12’000 Nazis tauchte in Argentinien auf, was beweist, wie beliebt Argentinien als Asyl der Nazis war, anderseits wird mit dieser Liste gezeigt, dass ein ansehnliches Vermögen dieser Nazis auf schweizerischen Banken liegt.

Namen einiger NS-Kriegsverbrecher auf der Rattenlinie

Joseph Mengele, Todesarzt in Auschwitz. Er nennt sich nach der Flucht zuerst Fritz Hollmann, hat nach dem Krieg bis 49 unerkannt in Bayern als Knecht gearbeitet. Im südtirolischen Sterzing erhält er gefälschte Ausweispapiere auf den Namen Helmut Gregor. In Genua stellt ihm das Schweizer Konsulat einen neuen Pass aus. Von da flieht er nach Argentinien.

Familie von Martin Bormann, Hitlers Vertrauten und Sekretär der NSD. Gerda Bormann floh nach Südtirol. Während sich die Kinder bei Meran versteckten, gab Gerda ihre Identität preis, als sie an Unterleibskrebs erkrankte. Sie wurde unter grösster Geheimhaltung ins Kriegslazarett in Meran gebracht und verstarb dort 1946 an den Folgen der Quecksilberbehandlung. Gerda Bormann blieb eine überzeugte Nationalsozialistin und Antisemitin.

Adolf Eichmann, Organisator der Judenvernichtung. Unter den Decknamen Adolf Barth, dann Otto Eckmann, weiter als Otto Heninger und dann mit einem Rot Kreuz Pass als Ricardo Klement nach Argentinien, wo er in einem Daimler-Benz-Werk als Elektriker arbeitete.

Gerhard Bast, Gestapo-Chef von Linz, versteckt sich auf einem Bauernhof in Südtirol. Offiziell als Knecht, aber wohl einfach ein beschützter Flüchtling, der sich das Schweigen erkauft hat.

Franz Stangl, ehemaliger SS-Hauptsturmführer und Kommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, verantwortlich für den Tod von nahezu einer Million Juden. Ihm gelingt die Flucht aus dem Linzer Gefängnis. Zu Fuss marschiert Stangl über Graz und Meran nach Florenz. Der römische Bischof Alois Hudal besorgt Stangl falsche Papiere. Damit setzt sich Stangl nach Syrien ab, lässt seine Familie nachkommen und wandert 1951 nach Brasilien aus. Er montiert in der Nähe von Sao Paulo jahrelang Automobile bei Volkswagen. Als Paul Stangel flieht er zuerst nach Syrien, dann nach Brasilien. 1967 wird er verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er stirbt in der Haft.

Reinhard Kopps, NS-Geheimagent, alias Hans Mahler, war Fluchthelfer für viele Nazi-Verbrecher nach Argentinien. Er selbst liess sich in Argentinien nieder und starb dort.

Erich Priebke, alias Otto Pape (aus dem Baltikum), musste zum Katholiken werden, denn die argentinischen Peronisten nahmen nur Katholiken auf.

Klaus Barbie, alias Klaus Altmann, war Gestapo-Chef von Lyon, wegen seiner Grausamkeit als «Schlächter von Lyon» bekannt. Unter dem Schutz der USA konnte er über die Rattenlinie nach Bolivien, betätigte sich dort als Geschäftsmann und wurde später auch bolivianischer Staatsbürger.