Interpretation von Nachts schlafen die Ratten doch

Wolfgang Borchert (1921 – 1947)

Wir gehen bei der Interpretation vor nach dem vereinfachten Schema:

  • Was steht da? – Zusammenfassung in eigenen Worten
  • Wie ist es geschrieben? – Welche Sätze, welche Wörter, welche Bilder verwendet Borchert?
  • Was will Borchert damit sagen?

Zusammenfassung

Es ist Abend. Die Sonne scheint in die Schuttwüste der zerbombten Stadt.
Ein neunjähriger Junge mit dem Namen Jürgen sitzt auf einem Trümmerfeld. Er hält einen Stock in der Hand.

Plötzlich taucht ein älterer Mann auf, der ein Messer und einen Korb mit Grünzeug trägt. Der Mann hat dünne, krumme Beine und Erde an den Fingern.

Der Mann fragt den Jungen, ober hier schlafe. Der Junge antwortet: Nein ich muss hier aufpassen. Er will ihm zuerst aber nicht sagen, auf was er aufpassen muss.

Der Mann versucht es herauszufinden, indem er Jürgen neugierig macht. Dann sage ich dir auch nicht, was ich im Korb habe. Doch Jürgen hat bereits gesehen, dass er Grünzeug gesammelt hat und tippt auf Kaninchenfutter.

Wieder fordert ihn der Mann heraus: Dann weisst Du sicher, wie viel dreimal neun sind? Jürgen kann’s ausrechnen. Genau so viel Kaninchen habe ich. Du kannst sie sehen, wenn du willst. Viele sind noch ganz jung.
Er kann nicht, denn er muss ja hier aufpassen. Auch nachts, fragt der Mann. Ja, seit Samstag. Du hättest vielleicht eins haben können, sagt der Mann.

Nun rückt Jürgen mit der Wahrheit heraus: Er will seinen vierjährigen Bruder vor den Ratten schützen, dieser wurde unter dem zerbombten Haus begraben. Die Ratten würden doch die Toten fressen.

Der ältere Mann sagt ihm nun: Weiss dein Lehrer denn nicht, dass nachts die Ratten schlafen? Dies sagt er, um den Jungen von seiner Bewachungsaufgabe zu erlösen.

Der Junge beginnt zu glauben, was der alte Mann sagt. Er ist todmüde. Aber gleichzeitig träumt er bereits davon, ein Kaninchen zu besitzen.

Der Mann will am Abend, wenn es dunkel wird, zurückkommen und Jürgen nach Hause bringen. Er müsse doch seinem Vater sagen, wie man einen Kaninchenstall baue.

Jürgen sieht den Mann heimgehen, der Sonne entgegen, die durch seine krummen Beine scheint.

Der Text als Ganzes

Die Geschichte beginnt durch eine Beschreibung der Situation.

Im Mittelteil findet der Dialog zwischen dem alten Mann und dem Jungen statt.

Der Schluss ist ein offenes Bild, wieder eine Beschreibung.

Was uns am Text auffällt

Kurze Sätze: Der Text besteht aus Sätzen mit durchschnittlich 8,2 Wörtern. Andere Texte haben längere Sätze, durchschnittlich doppelt so viele Wörter.

Eine zerstörte Stadt. Wir wissen weder genau wann, noch wo wir sind.

Die vereinsamte Mauer gähnte… Die Schuttwüste döste… Die Dinge werden personifiziert, sie fühlen Einsamkeit, sie gähnen und dösen…Während für die meisten Menschen eine Schuttwüste nichts anderes ist als einen Steinhaufen, wird dieser für Borchert zum dösenden Lebewesen.

Die Personen werden aber kaum persönlich, sie werden in ihrer Persönlichkeit nicht näher beschrieben, sie bleiben Typen. Der Junge erhält im Laufe der Erzählung den Namen Jürgen. Einzig im Dialog zwischen den beiden erraten wir etwas über sie.

Der Alte steht vor dem sitzenden Jungen, das unterstreicht den Altersunterschied der beiden.
Warum hat der Mann krumme Beine? Und warum scheint die Sonne durch die krummen Beine? Warum werden die Haare des Jungen als Haargestrüpp beschrieben? Ist es die Armut des Alten und der verstockte Stolz des Jungen?

Die Angst des 9-jährigen Jungen wird nur durch seine Gedanken beschrieben: Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich! dachte er.
Der Alte steht im Gegensatz zum Lehrer: Das Wissen vom Lehrer, der sagt, dass Ratten auch Tote fressen, ist in dieser Situation nicht hilfreich. Die Notlüge des Alten, dass Ratten in der Nacht doch schlafen, kann dem Jungen helfen, aus seiner Situation zu kommen.

Die Sätze sind kurz: Borchert schreibt seinen Text in halb so kurzen Sätzen, wie normale andere Texte. Sie werden hervorgestossen und wurden mit dem Stakkato in der Musik verglichen. Mit durchschnittlich 8,2 Wörtern sind diese Sätze rund halb so lang wie andere vergleichbare Texte.

Wiederholungen werden als Stilmittel eingesetzt:

Der Junge blinzelt und blinzelt.

Der Junge schaut durch die Beine des Alten.

Jürgen macht kleine Kuhlen in den Sand, zuerst sind es kleine Betten, wohl eins auch für ihn oder für seinen kleinen Bruder. Danach sind die kleinen Kuhlen die Kaninchen, welche er sich so sehr wünscht.

Was ist die Aussage?

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Über Borchert und seine Trümmerliteratur

Die deutsche Nachkriegsliteratur wird oft
Trümmerliteratur genannt. Dichter und
Schriftsteller wie Günter Eich, Wolfgang
Borchert und Heinrich Böll setzten sich
realistisch, in einer einfachen, sachlichen
Sprache mit dem Zweiten Weltkrieg und seiner
Folgen auseinander. Große Worte und
Gefühlsausbrüche wurden vermieden; das war
die Sprache der Nazis gewesen.
Wolfgang Borchert wurde 1921 in Hamburg
geboren. Er machte eine Buchhändlerlehre,
wurde 1941 als Soldat in Russland verwundet,
kam wegen „Wehrkraftzersetzung“ ins
Gefängnis und starb 1947 an den Folgen seiner
Kriegsverletzungen. Er schrieb Gedichte, kurze
Prosastücke und das Heimkehrerdrama
Draußen vor der Tür (1947) über den
Unteroffizier Beckmann, der bei seiner
Rückkehr aus Russland kein Zuhause mehr
findet. (aus: deutschunddeutlich.de)