* 10. Dezember 1866 in Overschie, Niederlande
† 17. Juni 1930 in Amsterdam
Louis Bolk schloss sein Medizinstudium im Oktober 1896 an der Universität in Amsterdam ab und begann eine Assistenz bei Professor Georg Ruge. 1898 (im Februar) wurde er dessen Nachfolger als Professor für Humananatomie. Bolk stellte sich die Aufgabe, in seinen Forschungen weitsichtig zu sein. Dazu sein Ausspruch: „Wie viel weiter wäre unsere Sicht vom Leben, wenn wir dabei durch Verkleinerungsgläser schauen könnten“.
Louis Bolk versuchte die Zeitschrift ‚Petrus Camper‘ ins Leben zu rufen, doch das Unternehmen war erfolglos. Darauf publizierte er seine ersten Studien über das Kleinhirn und seine Nerven.
Ab 1902 begann er mit der Restrukturierung und dem Neuaufbau des Instituts für Anatomie an der Universität Amsterdam. 1918 wurde Bolk Rektor der Universität. Bei dieser Gelegenheit sprach er das erste Mal über seine Foetalisationstheorie.
Bolk war nie verheiratet. Er starb nach langem Leiden an Krebs, nachdem man ihm noch ein Bein amputieren musste.
Bolks Retardations- und Foetalisationstheorie
Bolks Forschungen führten zu einer interessanten, alternativen Theorie über die Menschenevolution. Bei seinen vergleichenden Untersuchungen stellte er in den Formenreihen zum Menschen hin eine Retardation (Verzögerung) und eine Foetalisation von Merkmalen fest. Diese Merkmalscharakteristika nannte er (nach Kollmann 1885) Neotenie und er sprach vom Menschen als von einem “geschlechtsreif gewordenen Affenfoetus”. Neotenie wurde aber schon früher festgestellt, so von Geoffroy St. Hilaire im Jahre 1832 an einem Orang Utan im Pariser Zoo.
Eine grosse Anzahl von fötalen Merkmalen sind beim erwachsenen Menschen erhalten geblieben, hier eine Liste nach Louis Bolk:
- die spärliche Körperbehaarung
- die fehlende Pigmentierung
- die Rundung des Kopfes
- die Grösse des Kopfes
- die kleine Gesichtspartie im Vergleich zum ganzen Kopf
- die lange Lebensspanne
- die Position des Foramen magnum
- die späte Verknöcherung der Schädel-Suturen
- der ventral gerichtete Vaginalkanal
- die starken, nicht abgespreizten, nicht-opponierbaren grossen Zehen
Bolk erklärte sich die Neotenie beim Menschen durch Störungen in den Organen der inneren Sekretion, wo eine “Verzögerung” stattgefunden haben soll.
Zwergschimpansen oder Bonobos (Pan paniscus) sind ausgeprägter neoten als Schimpansen (Pan pan), Menschen sind ihrerseits ausgeprägter neoten als Bonobos. Wenn also tatsächlich ein Affe wie der Schimpanse aus dem humanen Zweifüsslerstamm entstanden ist, dann ist der Mensch gegenüber dem Schimpansen primitiv, ein Rückschritt in der Evolution, der gemäss dem Dollo-Gesetz nicht erlaubt ist.
Helmuth Plessner schreibt in der Propyläen-Weltgeschichte (Band 1 , Seite 53) über Bolks Theorie folgendes: „Nach ihm unterscheidet sich der menschliche Körperbau von dem der ihm am nächsten stehenden Anthropoiden durch eine bleibende Ähnlichkeit mit dem Körperbau im fötalen Stadium. Während bei ihnen“ (also den menschenähnlichen Tieren, den Anthropoiden) „die individuelle Entwicklung zu einer starken Umbildung fortschreitet, erscheint sie beim Menschen gleichsam zurückgehalten und das Jugendstadium verlängert zu sein. Ist die Ähnlichkeit zwischen Anthropoidenföten und menschlichem Fötus bis kurz vor der Geburt noch beträchtlich, so verliert sie sich danach rasch. Die Retardierung beherrscht auch die postembryonale Entwicklung. Gilt für die höheren Säugetiere, dass das Junge bereits spezialisiert für eine bestimmte Umwelt ins Leben tritt und die Zeit seiner Unselbständigkeit und Hilfsbedürftigkeit möglichst kurz befristet ist, so steht das Menschenjunge unter einer entgegengesetzten Tendenz. Mit den Worten Portmanns: Da fällt als bedeutsamster Gegensatz auf, dass der neugeborene Mensch weder in Bewegungsart noch in der Körper haltung oder in seiner Kommunikationsweise den artgemässen Typus der Reifeform erreicht hat. Statt bis zu dieser Aus bildungsstufe im Mutterleib heranzureifen (…) wird das kleine Menschenwesen auf einer viel früheren Stufe bereits aus dem Mutterleibe entlassen und zur Welt gebracht.“
Arbeiten von Bolk
Über Lagerung, Verschiebung und Neigung des Foramen Magnum am Schädel der Primaten, Zeitschr. Morphol. Anatom. 17 / 1915 S. 611-692.
Das Problem der Menschwerdung, Jena 1926
Handbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere, L. Bolk et al., 1937
Arbeiten zu Bolk
Acta Morphol.Neerl.Scand. 13, 1975: Spezialausgabe über Bolk, mit biografischen Details in den verschiedenen Beiträgen.