Morgenstern – Das Auge der Maus – Interpretation

Das Gedicht

Das rote Auge einer Maus
lugt aus dem Loch heraus.

Es funkelt durch die Dämmerung . . .
Das Herz gerät in Hämmerung.

„Das Herz von wem?“ Das Herz von mir!
Ich sitze nämlich vor dem Tier.

O Seele, denk an diese Maus!
Alle Dinge sind voll Graus.

Interpretation

Das Gedicht Auge einer Maus hat Christian Morgenstern 1932 im Band Galgenlieder veröffentlicht. 1932 war ein Jahr vor der Machtergreifung durch Hitler, also eine Zeit, welche wenig spassig war. Aber gerade in diese Zeit hinein hat Morgenstern seine galgenhumorigen Gedichte veröffentlicht.

Inhalt

Es geht um ein Mausauge, das rot aus einem Loch heraus funkelt. In der Dämmerung ist dieses rote Funkeln noch stärker zu sehen. Das Auge blickt nicht, es „lugt“ und funkelt.

Ich sitze vor dem ungeheuerlichen Tier und mein Herz schlägt wie wild.

Fazit: Es wird daran erinnert, dass alle Dinge fürchterlich und beängstigend sind.

Rhythmische und sprachliche Analyse

Das Gedicht ist über einige Zeilen im Jambus geschrieben, was ihm einen schwerfällig fortschreitenden Charakter verleiht. Man reitet so quasi stur in diesen Graus hinein. Nur bei der Zeile „Ich sitze nämlich vor dem Tier“ wird der Jambus unterbrochen.

Das Reimschema ist einfach und gibt dem Gedicht den Charakter eines einfachen Kinder-Sprüchleins.

Die Wortwahl ist teilweise speziell: Lugen ist ein aussergewöhnliches Wort für schauen, starren, glotzen. Es betont den grausigen Tunnelblick der Maus. Aber warum ist das Auge rot? Mäuseaugen sind doch braun? Ist es etwa eine Labormaus? :-)

Ebenfalls das Wort „Hämmerung„, was für Pochen oder heftiges Schlagen des Herzens steht. Mit dem Wort Hämmerung gelingt der Eindruck des unerbittlichen Pochens, dem ich nicht ausweichen kann, ein Pochen wie durch einen Hammer.

Weiter speziell ist das Wort Tier. An und für sich gewöhnlich, aber nicht, wenn es für eine Maus, ein Mäuschen verwendet wird. Unter einem Tier verstehen wir etwas Grosses, etwas Beeindruckendes.

Was soll das Gedicht?

Vorerst einmal soll das Gedicht sicherlich einfach amüsieren. Es soll an einer absurden Kombination (ein Mensch sitzt vor einer Maus und erkennt den ganzen Graus der Welt) ein Lachen hervorlocken. Ein an und für sich kleines und fast harmloses Tier wird zum Ungeheuer.

Wenn man allerdings bedenkt, dass das Gedicht ein Jahr vor der Machtergreifung der Nazis veröffentlicht worden ist, kommt der Verdacht auf, dass das Grausen vor allen Dingen auch mit dem zusammenhängt, was bereits 1932 allgegenwärtig war: Das Hässliche in den braunen Horden, die bereits in dieser Zeit durch die Strassen zogen und Menschen erschreckten. Vielleicht aber ist dieser Gedanke auch zu weit hergeholt…

 

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