Latimeria chalumnae (Quastenflosser)

latimeria

Foto von H. Fr icke

Das Verbreitungsgebiet des Quastenflossers, eines urzeitlichen Fisches, befindet sich in der Tiefsee. Er ist nicht irgendein „lebendes Fossil“, sondern das mit Abstand bekannteste, klassischste und unumstrittenste. Dieser mitternachtsblaue Fisch ist mit einer Vielzahl von weisslichen Flecken bestückt, die bei jedem Individuum anders verteilt sind. Er erreicht eine Länge bis zu 180 Zentimetern und ein Gewicht von 95 Kilogramm. Wie andere „normale“ Fische besitzt er an der Unterseite je zwei Brust-, Bauch- und Afterflossen, allerdings zieren ihn gleich zwei Rückenflossen, des weiteren ist das hintere Ende von einer Art Flossenkamm umgeben, bei dem ein Stück als gestützter Fortsatz am rüchwärtigsten Ende herausragt. Letzteres erinnert entfernt an eine Quaste, deshalb auch der seltsame Name. Der lateinische Name – Latimeria chalumnae Smith – setzt sich aus dem Namen der Entdeckerin, Majorie Courtenay Latimer, dem Fluss Chalumnae, in dessen Mündungsgebiet das erste Exemplar gefunden wurde und dem Namen J. L. B. Smith zusammen, der den Fisch als erster untersuchte.

Der Coelacanth, wie er auch genannt wird, war ursprünglich nur als Fossil, das vor mehr als 400 Millionen Jahren lebte, bekannt. Als der erste Quastenflosser in Südafrika gefangen wurde, wurde er zunächst unfreiwilliger Mittelpunkt eines Medienspektakels, nicht zuletzt deshalb, weil man ihn kurzerhand als Bindeglied zwischen Fischen und landlebenden Wirbeltieren feierte, und damit sogar als einen Vorfahren von uns Menschen. Sieht man sich seine gestielten, vom Körper weggestreckten Flossen an, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um Vorläufer von Beinen handeln könnte, was besagten J. L. B. Smith dazu veranlasste, den Quastenflosser liebevoll als „old fourleg“ („alter Vierfuss“) zu bezeichnen. Dass diese Euphorie verfrüht war, zeigen neue Untersuchungen. Sowohl der Quastenflosser als auch der Lungenfisch, ein weiteres „lebendes Fossil“, auf das ich noch zu sprechen kommen werde, gehören nur einem blinden Seitenzweig im Stammbaum der Wirbeltiere an. Aber auch diese Erkenntnis hat der ungeheuren Popularität dieses Urfisches keinen Abbruch getan, noch heute erscheinen regelmässig Artikel über ihn in diversen Fachzeitschriften, allein von diesem Jahr (ich spreche von 1999) sind mir zwei davon untergekommen, obwohl sicherlich sehr viel mehr vorhanden sind.(4,5) Das erste Exemplar war wahrscheinlich „verirrt“, der tatsächliche Lebensraum befindet sich nahe der Komoren, wo er sich von anderen Fischen ernährt. Zunächst konnten nur Quastenflosser gefangen werden, die entweder durch Druckveränderung und andere Strapazen bereits tot waren, oder bereits nach kurzer Zeit verendeten. Immerhin verriet das Sezieren der Tiere einiges über ihren Körperbau, wobei vor allem das sogenannte Rostralorgan, dessen Funktion noch nicht vollständig geklärt ist, das aber vermutlich zur elektrischen Ortung der Beute dient, erstaunte. Ebenso überraschend ist, dass das Weibchen die Eier bis nach dem Schlüpfen der Jungtiere im Körper behält. Es wurden zahlreiche Exemplare konserviert, ein vollständiges kann man nicht allzuweit weg im Naturhistorischen Museum der Stadt Wien bestaunen. Durch Unterwasserseeboote will man nun ihr Verhalten erforschen, allerdings wurden, so scheint mir, dadurch mehr Rätsel aufgeworfen, als beantwortet. So findet man Quastenflosser oft tagsüber dichtgedrängt in Höhlen vor, bei einer Beobachtung vollführte einer der Fische sogar einen „Kopfstand“.

Wie auch immer – in naher Zukunft werden sicherlich Antworten gefunden werden, vielleicht sensationellere, als wir uns nur vorstellen können. Wenn es gelingt, das Interesse der Bevölkerung für solch lohnende Forschungsprojekte zu gewinnen, kann in dieser Hinsicht sicherlich mehr unternommen werden, da Expeditionen nur allzuoft teuer sind und Unterstützung benötigen, die für eine Sache von allgemeinem Interesse eher bereitgestellt wird.

Im Jahre 1938 war die 32jährige Marjorie Courtenay Latimer die Verwalterin eines kleinen Museums in der Hafenstadt von East London, nordöstlich von Kapstadt, Südafrika. Sie hatte sich mit Hendrick Goosen, einem ortsansässigen Seemann, angefreundet, Kapitän des Fischdampfers „Nerine“, welcher in den nahen Küstengewässern des Indischen Ozeans fischte. Nach seiner Ankunft im Hafen hatte der Kapitän die regelmässige Angewohnheit, Miss Latimer von einem Dockarbeiter rufen zu lassen, damit sie sich den Fang der „Nerine“ anschauen konnte. War ein ungewöhnliches Exemplar dabei, konnte sie es für ihr Museum mitnehmen.
Am 23. Dezember 1938 fuhr die Nerine, nach einer kurzen Schleppfahrt in der Nähe des Chalumna Flusses, in den Hafen ein. Die Hafenarbeiter riefen Marjorie, welche damit beschäftigt war eine Reptiliensammlung aufzustellen. Trotzdem wollte sie wenigstens zum Dock gehen, um der Besatzung der Nerine ein Frohes Weihnachtsfest zu wünschen.
Sie nahm ein Taxi, richtete ihre Wünsche aus und war schon auf dem Rückweg, als sie nach eigenen Angaben, eine blaue Flosse inmitten eines Haufens von Rochen und Haien sah. Nachdem sie die obere Fischlage beiseite geschoben hatte fand sie, was sie später als den schönsten Fisch, den sie jemals gesehen hatte, beschrieb. Fünf Fuss lang und von einer blassen hellviolett-blauen Farbe mit schillernden, silbernen Markierungen. Marjorie hatte keine Idee was für ein Fisch es war, wusste jedoch, dass er sofort zum Museum gebracht werden musste. Anfänglich verweigerte der Taxifahrer den stinkenden, 5 Fuss langen Fisch in sein Taxi zu nehmen, aber nach einer hitzigen Diskussion, fuhr er Marjorie und ihr Exemplar zurück zum Museum. Während sie einige Referenzbücher durchstöberte fand sie ein Foto, das sie aber zu einem unmöglichen Ergebnis zu führen schien.
Ihr Exemplar wies Gemeinsamkeiten mit einem prähistorischen Fisch auf, besonders in der Struktur des Kopfes und der dreilappigen Form des Schwanzes. Sie fertigte eine einfache Skizze an und schickte diese samt einer Beschreibung an Professor J. L. B. Smith, einen 41jährigen Chemielehrer mit einer bekannten Leidenschaft für Fische. Smith war jedoch in den Weihnachtsferien und überprüfte Examen in seinem an der See gelegenen Unterschlupf. Er wies den Fisch als gewöhnlichen Steinbarsch ab.
Aber am 3. Januar 1939 erhielt Miss Latimer eine Nachricht von Smith: „Sehr wichtig, Skelett und Kiemen aufbewahren = Fischbeschreibung. Jedoch wurden bei dem Versuch den Fisch zu konservieren die Innereien weggeworfen. Eine Suche im Museum und den städtischen Mülltonnen war erfolglos. Darüber hinaus waren sogar die Fotografien von der Präparation beschädigt.
Smith, der ohnehin mit einer Doppelkarriere belastet war, traf erst am 16. Februar im Museum ein. Der Professor, ein dünner drahtiger Mann mit kurz geschorenen Haaren, in Khakishorts und Sandalen, beäugte das aufgestellte Exemplar.
„Ich wusste immer schon, dass es ihn noch gibt!“ Smith identifizierte den Fisch sofort als Quastenflosser, einer angeblich schon lange ausgestorbenen Spezies. Der Fisch wurde bald als der „bedeutsamste zoologische Fund des Jahrhunderts“ bezeichnet (eine Aussage die jetzt jedoch für die Mikrofossilien vom Mars gilt, sollten diese anerkannt werden). Der Fund eines lebenden Dinosauriers, wurde gesagt, würde nicht verblüffender sein als diese unglaubliche Entdeckung.
Nachdem ein Zeitungsreporter die Erlaubnis erhielt, ein einziges Foto von dem ausgestellten Quastenflosser zu machen, erschien das Bild bald weltweit. Smith, Courtenay-Latimer, und der Quastenflosser wurden über Nacht berühmt. Während einer eintägigen Ausstellung für die Öffentlichkeit fanden sich 20.000 Besucher ein.
Aber die Geschichte der „Entdeckung“ des Quastenflossers endet hier noch nicht. Durch das Fehlen der inneren Organe blieben viele Fragen unbeantwortet. Smith war bald von der Idee besessen ein zweites intaktes Exemplar zu finden. Nachdem er vermutete, dass der Fisch von Norden in der Mozambiqueströmung abgetrieben wurde, schrieb er eine Belohnung aus. Ein Jahrzehnt verging, ohne Erfolg. Smith warb aber weiter für den Quastenflosser, wo er auch immer hinkam. Während dieser Zeit setzte sicher der Mythos des Quastenflossers als ein Fisch, der in den Tiefen des Meeres lebt, in den öffentlichen und wissenschaftlichen Vorstellungen fest. Expeditionen aus Europa erkundeten die Meerestiefen auf der Suche nach dem Quastenflosser. Aber Smith blieb davon überzeugt, dass es sich bei dem Fisch, allein schon durch seine Physiognomie und seine blaue Farbe, eher um einen flachen Riffräuber und nicht um einen Tiefseebewohner handelt.
Kapitän Eric Hunt, der ein Schiff besass und Handel trieb zwischen Zanzibar, Madagaskar und den Komoren, besuchte zufällig eine von Smith‘ Vorlesungen in Zanzibar. Der intelligente, neugierige Hunt, der eine Vorliebe für Meerestiere hatte, war bald von der Idee fasziniert, den Wohnort der Quastenflosser ausfindig zu machen. Hunt bot sich an, die Belohnungsschreiben von Smith auf den Komoren zu verteilen.
Smith stimmte zu. Am 21. Dezember 1952, 14 Jahre nach der Entdeckung des ersten lebenden Quastenflosser, wurde Kapitän Hunt nach seiner Rückkehr in den Hafen von Mutsamudu auf der Komoreninsel Anjouan, von zwei Einheimischen mit einem grossen Bündel angesprochen. Einer von ihnen, Ahamadi Abdallah, hatte mit einer Handleine einen von Einheimischen als Mame oder Gombessa bezeichneten , schweren barschähnlichen gefangen. Der Fischer war in der Begleitung eines scharfsinnigen Lehrers, welcher bemerkte, dass es sich hierbei um den auf dem Belohnungschreiben angeführten Fisch handelte. Hunt war begeistert und arrangierte sofort die Belohnung von 100 britischen Pfund. Mangels eines besseren Konservierungsmittel, salzten Hunt und seine Crew den Fisch ein, und segelten weiter in den Hafen von Dzaoudi, wo er Formaldehyd kaufte. Mittlerweile wusste er von der wissenschaftlichen Bedeutung der inneren Organe, konservierte diese, benachrichtigte Smith und wartete auf eine
Antwort. Die Behörden auf Pamanzi waren jedoch unsicher, ob diese Kreatur der legendäre Quastenflosser war. Aus Besorgnis, dass sie etwas Wichtiges versäumen könnten verpassen würden, wollte man französische Wissenschaftler hinzuziehen , erhielt jedoch keine Antwort. Daraufhin beschloss die pamanzische Regierung den Fisch in Beschlag zu nehmen, sollte Smith ihn nicht persönlich in Empfang nehmen. Hunt schickte verzweifelt eine zweite Nachricht an Smith und drängte ihn, sofort auf die Comoren zu fliegen. Für Smith würde dieser Fund, sollte es in der Tat ein Quastenflosser sein, eine 14jährige Besessenheit beenden. Beunruhigt, dass das Exemplar von Hunt doch nicht das war was er vorgab, verhandelte Smith mit Premieminister Malan von Südafrika, um ein Flugzeug zu bekommen, welches ihn auf die Komoren fliegen würde. Malan stimmte endlich zu. Zwischenzeitlich war Smith ein nervliches Wrack, und fand es überhaupt nicht lustig, als die Besatzung derr DC3 „Dakota“, welche ihm für die Reise gestellt wurde, eine falsche Nachricht an ihn weitergab, dass französische Kampfflugzeuge im Angriff seien. Endlich auf den Komoren gelandet ,dauerte es nur kurze Zeit von der Landebahn bis zum Hafen von Pamanzi, wo die Nduwaro ankerte. Als Smith den toten Fisch sah, weinte er. Es war tatsächlich ein Quastenflosser. Nun hatte er sein zweites Exemplar mit intakten Organen, und dass die Einwohner mit der Kreatur vertraut waren besagte, dass auch der Wohnort des Quastenflossers entdeckt war.
Bald darauf verliess die Dakota mit Smith und „seinem“ Fisch die Komoren, wieder im weltweiten Rampenlicht. Nachträglich fühlten sich die Franzosen betrogen, und machten den Quastenflosser für ausländische Forscher unzugänglich, bis die Insel in den 70er Jahren unabhängig wurde. Vier Jahre nach der „Entdeckung“ des zweiten Quastenflossers verschwand Eric Hunt auf See, nachdem sein Schiff auf den Riffen der Geyser Bank zwischen den Komoren und Madagaskar auf Grund lief. Er wurde niemals gefunden.
J.L.B. Smith berichtete im Buch „Old Fourlegs“ über seine Quastenflossergeschichte, welche zum ersten Mal 1956 erschien. Sein Buch, Meeresfische des Indischen Ozeans, peinlich genau illustriert und mitgeschrieben von seiner Frau Margaret, ist immer noch die masstäbliche Referenz in der Fischkunde. Smith starb 1968. Kapitän Hendrick Goosen verstarb 1988, kurz nach dem 50. Jubiläum der „Entdeckung“ des Quastenflossers . Marjorie Courtenay-Latimer war bis Januar 2001 noch wohlauf und lebt in East London, als einzige Überlebende der grössten Fischgeschichte, die jemals erzählt wurde.